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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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ihre fünf Sinne beisammen!“
    „Es ist ausgeschlossen“, brachte Werner hervor. „Dieses Haus kann keine Schule werden. Ausgeschlossen!“
    „Gehen Sie weiter, Herr Hotten! Katharina ist bei Ihnen. Vertrauen Sie ihr.“
    Einem Geist vertrauen? Was wusste er schon über Katharina von Adlerbrunn? Nur weil eine 97-jährige sich an einige Dinge zu erinnern glaubte, die beinahe achtzig Jahre zurücklagen, nur weil Katharinas Seele mit Sir Darren kommuniziert hatte – nur deswegen sollten sie ihr vertrauen? Falkengrund fühlte sich nach Falle an. Jede Diele, jede Treppenstufe, jede Spinnweben atmete Tod.
    Sir Darren betrat die Halle wenige Schritte hinter ihm. Der Brite sah sich nicht um, schien sich nicht für die Architektur zu interessieren und nicht nach ungewöhnlichen Phänomenen Ausschau zu halten. Er erinnerte Werner an einen Sportler vor dem Wettkampf. Sir Darren war geballte Konzentration, und er blendete alles aus, was ihn ablenken konnte. Falls die Möbel zu schweben begannen, Kugelblitze heranrollten oder Elmsfeuer züngelten – er wollte es nicht sehen.
    „Nach oben, wie besprochen“, befahl Sir Darren. „Die rechte Treppe sieht stabiler aus.“
    Ach ja? Beide Treppen wiesen zerbrochene Stufen auf, manchmal sogar zwei aufeinanderfolgende. Das Geländer fehlte bei beiden, und die verbliebenen Stufen lagen schief. Das Gebäude war 78 Jahre unbewohnt gewesen. Genauso sah es aus.
    Werner balancierte auf der rechten Treppe nach oben. Das Gefühl des Dumpfen, Beengten verstärkte sich dort. Falkengrund war wie eine uralte Höhle, die noch nie ein Mensch betreten hatte und in der eine ferne, tödliche, vor-menschliche Vergangenheit herrschte.
    Das alles war schrecklich und grauenvoll, aber es wurde unbedeutend und nichtig in dem Moment, in dem der Baron erschien.
    Die Gestalt materialisierte in Werners unmittelbarer Nähe, wo genau, war schwer zu sagen. So klar sie sich auch abzeichnete (klarer als Werners eigene Hände), sie passte nicht ganz in den Raum, wirkte übergroß und verzerrt, schien unten in der Halle zu stehen und doch mit den Augen geradewegs in den ersten Stock zu blicken. Das entschlossene Gesicht des Barons wirkte im ersten Augenblick noch nicht einmal wutverzerrt, nur ernst. Ernst bis zu einem Punkt, an dem es das menschliche Maß überschritt.
    Als er diese Miene sah, spürte er eine Art von Ehrfurcht, aber vielleicht spürte man die auch im Angesicht eines hungrigen Tigers.
    Er lässt mich gehen , dachte Werner. Er hasst mich nicht. Gott, ich weiß nicht, was es ist, aber ich habe etwas an mir, was ihn milde stimmt.
    Werners Hand hatte sich in seinen Bart gekrallt. In diesem Moment löste sich dort etwas. Werner bekam es kaum mit, doch als er seine Hand hob, klebten dichte Haarbüschel daran, nass vom Angstschweiß.
    Er stöhnte. Seine Haare fielen aus! Wie bei Dr. Schlichter. Und das konnte nur eines bedeuten: Er verwandelte sich in ein Ebenbild des Barons.
    Lorenz will vor allem Lorenz töten. Immer und immer wieder bis ans Ende der Zeit. Sir Darrens Worte.
    Werners Todesurteil.
    „Nein!“, brüllte er und begann zu rennen. Die Treppe hinunter. Er schaffte das erste Drittel, dann verfehlte sein Fuß eine Stufe, trat ins Leere, und er stürzte. Stürzte so unglücklich, dass er steckenblieb und sich im ersten Moment nicht befreien konnte. Seine Lenden schmerzten, er hatte sich an der Hüfte gezerrt und außerdem noch die Hoden gequetscht.
    „Hilfe!“, schrie er, doch Sir Darren lief auf der anderen Treppe eilig nach oben und beachtete ihn nicht. Vielleicht gehörte das zum Plan, vielleicht war er einfach nur angeschmiert.
    Der Baron stand jetzt in normaler Größe am oberen Ende der Treppe. Schritt für Schritt kam er herab. Er brauchte gewiss nicht zu fürchten, dass er stolperte. Werner hievte sich durch den engen Spalt zwischen den beiden intakten Stufen wieder empor, blieb mit dem Fuß irgendwo hängen, kämpfte, um sich zu befreien.
    Und durfte in der Zwischenzeit mitansehen, wie das Portal sich schloss. Leise und gefühlvoll geschah es. In der Eingangshalle wurde es noch ein wenig dunkler. Außer dem Baron war praktisch nichts mehr zu erkennen.
    Werner kam auf die Füße, lief weiter. Es war Irrsinn, in der Dunkelheit eine Treppe hinabzusteigen, der fünf oder sechs Stufen fehlten. Der nächste Fehltritt konnte ihm den Schädel brechen.
    Würde die Tür aufgehen, wenn er daran zerrte? Sicher nicht, aber es blieb ja noch der Weg durch eines der Fenster. Er geriet ins

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