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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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nicht, und die Möglichkeit, dass sie in eines der Geschäfte gegangen war, schien ihm eher gering. Sie musste also den Weg zu den Bahnsteigen eingeschlagen haben.
    Mit seiner ruppigen Art, sich durch die Menge zu drängen, machte er sich keine Freunde, aber die Menschen reagierten erstaunlich gleichmütig. Zumindest die Einheimischen schienen sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen zu lassen. Auf dem Weg zu den Gleisen erhaschte er wieder einen Blick auf die Frau, die er verfolgte. Sie trug eine enge Jeans, die ihre dünnen Beine betonte, dazu eine schlichte graue Jacke, zu leicht für die Jahreszeit. All das schien zu Madoka zu passen, auch ihr Gang kam ihm bekannt vor. Sie lief die Treppe zu einem der Bahnsteige hinauf, und auf den Stufen wurde ihr Vorsprung zu ihm noch größer.
    Er erreichte die Plattform. Die Asiatin war nicht mehr zu sehen, und an beiden Bahnsteigen standen Züge, offenbar abfahrbereit. In welchen war sie gestiegen?
    Über die Anzeigetafeln erfuhr er, dass es sich auf beiden Seiten um Züge der NordWestBahn NWB handelte. Der eine fuhr nach Norden mit Endstation Wilhelmshaven, der andere nach Süden mit dem Ziel Osnabrück Hauptbahnhof. Der Zug nach Norden hatte Verspätung, wie ein Beamter gemächlich über Lautsprecher bekannt gab. Es gab nur eine Möglichkeit: Er musste die beiden Züge ablaufen und sehen, ob er im Inneren etwas erkennen konnte. Zum Glück waren die modernen blau-gelb-weißen Bahnen mit großen Fenstern ausgestattet, die auch nicht so stark spiegelten wie die der ICEs oder anderer Züge. Im Inneren brannte Licht, die Passagiere waren gut zu erkennen.
    Für einen Moment atmete er auf, als er Madoka – oder ihre Doppelgängerin – im ersten Zug entdeckte, den er absuchte. Obwohl es noch ein paar freie Plätze gab, stand sie in der Mitte eines Wagens und wandte ihm das Profil zu. Er war drauf und dran, einfach in diese Bahn zu springen, doch er bremste sich. Er hatte nicht einmal eine Fahrkarte dafür. Also klopfte er gegen die Scheibe und versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Zwei ältere Damen, die direkt am Fenster saßen, blickten ihn verwundert an, doch diejenige, der sein Klopfen galt, ignorierte ihn. Er zog ein paar Grimassen, und die Damen kringelten sich vor Lachen.
    Der Lautsprecher verkündete die Abfahrt des Zuges. Artur reagierte. Er stolperte auf die nächste Tür zu, schwang seinen Koffer durch die sich schließende Tür und quetschte sich ebenfalls zwischen den Flügeln hindurch. Jemand brummte einen mürrischen Kommentar über die „Kurzentschlossenen“. Die Bahn fuhr an.
    Artur atmete tief durch. Nun hatte er es nicht mehr eilig. Er war im selben Zug wie diese Frau. Wenn es sich nicht um Madoka handelte, hatte er einfach nur eine kleine Albernheit begangen, von der nie jemand etwas erfahren würde.
    Erleichtert erkannte er, dass es in diesen Zügen Fahrkartenautomaten gab. Er blickte vor und hinter sich. In diesen Wagen gab es keine Abteile, und man konnte ein ganzes Stück weit sehen. Schaffner war keiner in Sicht, also würde er zunächst die Asiatin ansprechen und erst danach ein Ticket lösen. Wenn es Madoka war, war es ausschlaggebend, wohin sie fuhr. Er würde sie begleiten, vorausgesetzt, es machte ihr nichts aus.
    Als er den Wagen betrat, in dem er sie von draußen gesehen hatte, erwachte in ihm die Erinnerung an den Tag, an dem er ihr zum ersten Mal begegnet war. Sein Schutzengel hatte sie attackiert, so brutal, dass sie aus ihrem Fenster im ersten Stock stürzte. Später hatte er von ihr den Grund des Angriffs erfahren. Keineswegs hatte der Schutzgeist reagiert, weil sie eine Gefahr für Artur darstellte. Vielmehr hatte Madoka versucht, Macht über den Geist zu erlangen, und dieser hatte nicht mehr getan als sich mit aller Kraft zur Wehr zu setzen.
    Seit Artur den Geist wieder in sich trug, war er nicht mehr mit Madoka zusammengetroffen. Die Angst, dass sich die Ereignisse der Vergangenheit wiederholten, war unbegründet, aber sie war nichtsdestotrotz da.
    Artur kniff die Augen zusammen. Wo war das Mädchen? Der Platz, an dem die Asiatin gestanden hatte, war leer! Es konnte keinen Zweifel geben, dass es die richtige Stelle war – die beiden Damen, die vorhin über ihn gelacht hatten, saßen noch da, und sie erkannten ihn und grüßten.
    Hatte die junge Frau doch bemerkt, dass er ihr folgte, und es mit der Angst zu tun bekommen?
    „Entschuldigen Sie“, sprach er die beiden älteren Damen an. „Hier stand vor einer Minute noch eine

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