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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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apathisch geworden. Gret war klar, dass sie den Tierarzt rufen mussten, und doch taten sie es nicht. Der lange Henning, der zwei Semester Tiermedizin studiert hatte, ehe er dieses Studium abbrach und ein anderes anfing, war früher in solchen Fällen immer für sie da gewesen. Doch seit Monaten hatten sie nicht mehr mit ihm gesprochen, hatten ihn nicht einmal gegrüßt, wenn sie ihm auf der Straße begegneten. Und jemanden von außerhalb zu holen, kam nicht in Frage. Sie schämte sich zu sehr für das, was in ihrem Dorf vorging, als dass sie einem Fremden auch nur hätte ins Gesicht sehen können. Ihre Probleme waren wie eine dieser Krankheiten, mit denen man nicht zum Arzt geht, weil dieser daran die eigenen Sexualgewohnheiten erkennen könnte.
    Doch eines konnte sie tun. Etwas Einfaches. Die Tür zur Dachkammer einschlagen und sich Gewissheit verschaffen über das dahinter Verborgene.
    Solange sie im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war, wagte sie es nicht, doch sie begann zu trinken, wie viele im Dorf. Vielleicht tat sie es, um die scheußliche Situation zu ertragen, vielleicht auch, um den Mut zu finden, sie nicht mehr ertragen zu wollen.
    Eines Abends kurz nach Mitternacht polterte sie die Stufen zur Dachkammer empor. Niemand hielt die schwankende junge Frau auf, die sich immer wieder an der Wand abstützen musste. Sie trug eine Axt in der Rechten und eine Taschenlampe in der Linken, nur für den Fall, dass die Beleuchtung in dem kleinen Abstellraum defekt war. Fenster gab es dort nämlich keines.
    Die ersten Hiebe fielen zu schwach aus. Einmal entglitt ihr die Axt, krachte zu Boden. Dumpf empfand sie Erleichterung darüber, dass das Werkzeug ihr nicht den Fuß zerschmettert hatte. Dann arbeitete sie weiter, und ihre Schläge wurden kräftiger, verzweifelter, bis das Holz schließlich nachgab. Der Lärm, den sie veranstaltete, war so lächerlich laut, dass eigentlich die Nachbarn davon aus dem Schlaf geschreckt werden mussten. Doch nicht einmal ihre Familie sah nach ihr. Sie konnte sich gut vorstellen, wie sie alle in ihren Betten lagen und sich die Decken über den Kopf zogen. Sie hätte es genauso gemacht.
    Als sie ein kopfgroßes Loch in die Tür geschlagen hatte, legte sie die Axt ab. Eine Schweißschicht hatte sich über ihren ganzen Körper gelegt. Ihre Hand griff wie von selbst in die Kammer hinein, aber noch ehe sie etwas berührte, zog sie sie wieder zurück. Was der Grund dafür war, dass sie es plötzlich mit der Angst zu tun bekam, konnte sie selbst nicht sagen. Vielleicht roch die Luft, die aus dem Raum strömte, ein wenig befremdend. Vielleicht war da ein Summen. Eines, das nicht von einer eingesperrten Stubenfliege stammte.
    Sie trat einen Schritt zur Seite, knipste die Taschenlampe an und lenkte den Lichtkreis mit zitternder Hand durch die Öffnung.
    Etwas Helles reflektierte das Licht. Sie wusste nicht, was es war. Sie drückte gegen die Tür, doch das Schloss gab nicht nach. Wenn sie in die Kammer wollte, musste sie Stück für Stück die ganze Tür einschlagen.
    Gret ging in die Hocke, so dass das Loch auf Augenhöhe lag. Spähte neben der Taschenlampe vorbei.
    Sie machte ein schmutzig-weißes Etwas aus, das sie an einen Overall erinnerte. Nein, es war mehr als ein Overall – es war wie ein Kleidungsstück, das einen Menschen vollkommen einhüllte. Wäre es nicht weiß gewesen, hätte sie an einen Taucheranzug denken können. Schlaff hing das Ding an einem Bügel. Kein Kleiderbügel, wie man ihn in Schränken fand. Es war ein fremdartiges metallisches Etwas, an dessen Enden spitze Haken nach oben wiesen. Aus diesen Haken schien ein Faden einer feinen hellen Masse zu dringen, die daran nach unten troff und über den Overall lief.
    Oder den Overall bildete .
    Bei einem Taucheranzug wäre Raum für das Gesicht freigeblieben. Hier war auch dieser Teil vorhanden – eine lose herabhängende Maske ohne ausgeprägte Organe oder Gesichtszüge.
    Ohne Öffnungen zum Atmen oder Hindurchsehen.
    Das Material wirkte schwammig, und es schien sich leicht in einem Luftzug zu bewegen. Nur, dass hier kein Lüftchen wehte.
    Im Hintergrund riss der Lichtstrahl eine Maschinerie aus dem Dunkel, die bis unter die Decke reichte. Schwer zu sagen, wozu sie diente. Gret hatte nie etwas Vergleichbares gesehen. Es gab keine Knöpfe oder Schalter, keine Regler und keine Buchsen. Auch keine beweglichen Teile. Kabel konnte sie keine entdecken, dafür Dutzende von Anzeigenfeldern, auf denen nicht viel mehr als ein

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