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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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einen lateinischen Namen dafür. Bei der Asiatin war er sicher, sie gesehen zu haben. Und das Wort eben … Konnte es nicht sein, dass dieser Vierjährige heimlich schreiben gelernt hatte und seine Mutter nichts davon wusste? Man hörte ja ständig, dass Eltern heutzutage überfordert waren, und …
    Was für einen ausgemachten Blödsinn reimte er sich da zusammen!
    Dennoch: Als die Schaffnerin vorbeikam, hob er die Hand und sagte: „Sorry, wenn ich Sie schon wieder nerve. Ich bin fremd hier. Gibt es hier eine Ortschaft mit dem Namen … Friedlichten?“
    Die Walküre stutzte. „Ich dachte, Sie wollen bis Osnabrück!“
    Artur wäre beinahe aufgesprungen. „Ja? Es gibt sie wirklich?“
    Die Schaffnerin hob die Schultern. „Das ist ein Dorf, dreißig Kilometer abseits von unserer Linie. Wenn Sie in Cloppenburg aussteigen, können Sie mit dem Bus weiterfahren. Nein, Moment, der verkehrt nur einmal täglich und ist schon abgefahren. Aber Sie können natürlich ein Taxi nehmen. Tja, Ihre Fahrkarte, die können Sie jetzt nicht mehr umtauschen.“
    Die Fahrkarte war ihm schnurz und piep. Eine tiefe Erregung hatte Besitz von ihm ergriffen. Als die Schaffnerin weitergegangen war, fragte er die Mutter neben sich: „War Ihr Sohn Daniel vielleicht schon einmal in Friedlichten?“
    Anscheinend hatte die Frau beschlossen, ihn fürderhin zu ignorieren. Sie erwiderte nichts, kramte eine Modezeitschrift hervor und tat so, als würde sie lesen.
    Fünf Minuten später kündigte die Durchsage an, dass sie sich dem Bahnhof von Cloppenburg näherten. Und weitere fünf Minuten dauerte es, bis Artur mit seinem Koffer vor dem Bahnhof angekommen war und das einzige Taxi ansteuerte, das dort wartete. Der Wagen war allerdings verlassen. Eine Weile stand Artur hilflos neben dem Taxi, bis ein Passant ihm den Tipp gab, es doch einmal in der Bahnhofsgaststätte zu probieren. Dort fand er den Fahrer tatsächlich, zu seiner großen Erleichterung vor einem Glas Tee, das dieser in einem Zug leerte, als der Fahrgast ihn ansprach.
    Der Wirt verabschiedete ihn und wünschte eine gute Fahrt. „Wohin soll’s denn gehen?“, erkundigte sich der Fahrer beim Hinausgehen freundlich. Er war ein kleiner, drahtiger Glatzenträger mit einem Kinnbärtchen. Er sah aus, als verstünde er es zu feiern.
    „Friedlichten“, entgegnete Artur. „Ist es sehr weit?“
    Der Mann blieb mit der Schulter an der Tür des Lokals hängen, fluchte und entschuldigte sich fast gleichzeitig dafür. Kopfschüttelnd über sein eigenes Missgeschick griff er nach dem Koffer, den Artur vor der Tür abgestellt hatte. „Sorry, Meister“, sagte er. „Lange nicht mehr so erschrocken.“
    „Déjà vu“, murmelte Artur.
    „Bitte?“ Und als Artur nichts erwiderte: „Was wollen Sie denn dort, wenn ich fragen darf?“
    „Bei den Verrückten?“, meinte Artur spontan, den die Situation frappierend an die Taxifahrt vom Bahnhof Wolfach nach Schloss Falkengrund erinnerte.
    Der Fahrer schien die Bezeichnung „die Verrückten“ sehr gut mit Friedlichten in Verbindung bringen zu können. „Ja, genau das meine ich“, erklärte er, während er das Gepäckstück in den Kofferraum hievte. „Im ersten Moment dachte ich, Sie wüssten nicht Bescheid …“
    „Keine Sorge“, zuckte Artur die Achseln. „Ich bin einiges gewöhnt.“ Es war dumm von ihm, nicht nachzuhaken, was genau man den Leuten in Friedlichten nachsagte, aber er hatte nicht die geringste Lust, sich wirre Geschichten über den Zielort seiner Reise anzuhören. Er war viel zu sehr mit den Rätseln in seinem Kopf beschäftigt.
    Alle vernünftigen Erklärungen (wie zum Beispiel die, dass er den Namen des Dorfes irgendwann einmal unbewusst gehört und auf das Gekritzel auf der Scheibe angewandt hatte wie auf einen Rorschach-Test) erschienen ihm zu weit hergeholt. Viel naheliegender war doch diese Deutung: Jemand hatte ihn nach Friedlichten gerufen, oder gelockt – wie immer man es nennen mochte. Mit übernatürlichen Mitteln.
    Die Frau, die wie Madoka aussah, und dann plötzlich verschwunden war. Der Name auf dem beschlagenen Fenster. Zwei Maßnahmen, um ihn auf den richtigen Weg zu bringen. Vielleicht hatte es sogar schon früher begonnen, und er war nicht einmal aus freien Stücken nach Oldenburg gereist.
    Aber was hatte das wolfsähnliche Geschöpf zu bedeuten? Würde er ihm in Friedlichten begegnen?
    Klar, dass es ihm etwas mulmig wurde, als der Glatzköpfige den Gebührenzähler aktivierte und den Wagen startete. Doch

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