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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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jedoch hielt sie tief, schmetterte sie stumm und mit mörderischer Wucht gegen die Knie des Arztes.
    Ehe der Schmerz bis in Holgers Gehirn drang, waren ihm von dem Hieb schon die Beine unter dem Körper weggerissen worden, und er stürzte auf den Plattenweg. Er hatte keine Chance, seinen Fall abzufangen. Doch der Schmerz der Schulter, auf die er gestürzt war, ging in der Flut unerträglicher Pein unter, die sich von seinen Beinen her durch seinen Leib ergoss. Seine Nervenfasern standen in Flammen.
    Sein Kopf lag neben dem Wurzelwerk der Hecken. Er registrierte das, bevor er zum ersten Mal das Bewusstsein verlor.
    Sekunden später war er wieder da. Der Schmerz ließ nicht zu, dass er lange wegtrat. Er holte ihn wieder zurück. Der Fremde schlug ihm mit der Stange auf den Hintern, spielerisch beinahe. Dann wurde Holger an den Füßen gepackt und weggezogen. Er versuchte zu protestierten, aber aus seinem Mund kamen nur unverständliche Laute. Eine Hand, die nicht ihm gehörte, kramte in seiner Hosentasche nach den Autoschlüsseln.
    In seinem Kopf war kein Raum für Spekulationen. Er wusste nicht, was der Fremde mit ihm vorhatte. Holger wurde auf die Rückbank seines eigenen Wagens gehievt und dort gefesselt, zügig, aber ohne übertriebene Eile. Tränen rannen ihm in Strömen aus den Augen, und Speichel lief aus seinem Mund. Beides zusammen in solchen Mengen, dass der Sitz klatschnass und klamm davon wurde. In seinen Knien nagte ein entsetzliches Ungeheuer mit einem Maul voller spitzer Zähne, besonders im rechten. Wahrscheinlich war die Kniescheibe zersplittert. Irgendetwas in der Richtung. Ich werde nie wieder gehen können , zuckte es durch seine Gedanken. Dann, als die Tür mit einem satten Laut zugeworfen wurde, erwachte ein kleines Bruchstück des Psychiaters in ihm, und dieses Bruchstück sagte mit unpassender, professioneller, beruhigender Stimme zu seinem panikerfüllten Ich, dass er zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht wissen konnte, was später sein würde und wie schwer seine Verletzungen waren.
    Als der Wagen anfuhr, drehte sich die Welt um ihn, und er wurde erneut ohnmächtig, diesmal für längere Zeit. Er erwachte, und sie waren immer noch unterwegs. Noch mehr Speichel war aus seinem Mund geflossen.
    „Dani-… ela …“, krächzte er.
    „Nur keine Sorge“, antwortete der Mann, der erstaunlich ruhig und gefühlvoll fuhr. „Deiner Mätresse wurde kein Härchen gekrümmt. Nichts für ungut, aber ich mache mir nichts aus alten Frauen. Sie wartet noch auf dich und deinen …“ Er räusperte sich. „Möchtest du sie vielleicht anrufen und ihr mitteilen, dass du heute nicht kommst? Entschuldige, niemals mehr kommst?“
    Die Worte erleichterten ihn nicht. Gut, Daniela war offenbar nichts geschehen. Doch gleichzeitig hatte der Mann ihm zu verstehen gegeben, dass er vorhatte, ihn zu töten. Oder hatte er etwas anderes damit gemeint? Ein Eifersuchtsdrama war wohl auszuschließen. Dem Klang seiner Stimme nach interessiert ihn Daniela tatsächlich einen feuchten Kehricht.
    „Was … wollen Sie?“, presste er hervor. Der Wunsch entstand in ihm, seine verfluchten brennenden Beine abzureißen und aus dem Fenster zu werfen, damit die Pein, die sie verursachten, nicht weiter mitfuhr. Er knurrte unwillig, krallte die Hände in den Sitz.
    Der Fahrer lenkte den Wagen in einem beinahe musikalischen Rhythmus die kurvige Straße hinauf. Holger konnte durch das Seitenfenster wieder die schwarzen Vögel sehen, die am Himmel kreisten. Diesmal kamen sie ihm wie Geier vor. Die Winzer – wie viele Eimerfüllungen hatten sie geerntet, während sein Leben in Scherben ging? Würde es ein guter Jahrgang werden?
    Der Fahrer strich über das Lenkrad. „Ich könnte dir einen langen Vortrag über das Leben halten, darüber, wie es tiefe Spuren der Gerechtigkeit in jedem Menschen hinterlässt. Ich würde eine ganze Predigt für dich halten, wenn ich nicht wüsste, dass jeder Atemzug Verschwendung ist. Du gehörst nicht zu den Menschen, die auch nur eine Messerspitze davon begreifen würden.“
    „Sie haben es ja noch gar nicht versucht. Geben Sie mir doch eine Chance, bitte …“ Holger versuchte einen Plan hinter den wohlgewählten Worten und sauber formulierten Sätzen zu finden. Es kam ihm so vor, als kenne er die Stimme, aber sein Hirn war ein brodelnder Hexenkessel, und was in diesem Schmerzeintopf für Augenblicke aus der kochenden Brühe auftauchte, war so schnell wieder verschwunden, dass er nichts damit anfangen

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