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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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schob Artur, den er für die Nacht bei sich untergebracht hatte, vor sich her. Auch in seinem eigenen Haus war eine der weißen Gestalten entstanden, und ihre Spur hatte die beiden Männer hierher geführt, in Friedlichtens Zentrum. Zunächst hatten sie sich am Rande gehalten und das Gewühl beobachtet. Dabei hatte Henning laut nachgedacht:
    „Es ist ein Spiel, dem Rugby verwandt. Ich erinnere mich, dass ich einmal über das sogenannte Ba’game gelesen habe. Man spielt es in einigen Orten in Schottland zu Neujahr. Dabei teilt sich das Dorf in zwei Mannschaften. Die Uppies im Süden müssen den Ball ganz in den Norden der Ortschaft bringen, die anderen, die Doonies weit nach Süden. Es gibt keine Regeln, alles ist erlaubt, und die Straßen sind mit mehreren hundert Spielern gefüllt. Meistens wird stundenlang nur gedrängt und gedrückt, die Spieler bilden riesige Trauben, die man Scrum nennt. Scrums gibt es auch im Rugby – das Wort bedeutet einfach Gedränge.“
    „Uppies und Doonies“, wiederholte Artur im Selbstgespräch. „Die Oberen und die Unteren.“ Irgendwie dachte er dabei an Lebende und Tote. Die Oberen waren die, die über die Erdoberfläche gingen, die Unteren jene, die unter der Erde ruhten. Bis die Unteren nach oben kamen, um alles umzukehren. Aber … ein Spiel? Ein Ballspiel als Konfrontation zwischen Lebenden und Toten? Wer dachte sich so etwas aus?
    „Es sind die Schatten“, sagte Henning ernst. „Wer oder was sie sind, weiß ich nicht, aber sie steuern das alles. Sie haben die Toten gerufen und ihnen Körper geliehen. Und dann haben sie den Ball ins Spiel geworfen …“
    Die Nacht über hatte Artur kaum ein Auge zugetan. Henning hatte ihm von den Schatten erzählt, und ihm wurde rasch klar, dass es sich um dieselben Wesen handeln musste, die Melanie und Madoka in Japan gesehen hatten. Auch Georg war ihnen begegnet.
    Und was brachte ihnen dieses Wissen nun? Nichts. Sie standen am Ende einer Straße, die Luft kalt, die Sonne über ihnen, und warteten auf den Showdown. Wann war die Zeit zum Ziehen gekommen, und womit würden sie feuern?
    Eines dieser Wesen rannte in ihre Richtung. Dunkelrot glomm der Ball in seinen Händen. Bestimmt würde es sich gut anfühlen, darauf zu zielen und abzudrücken. Der Ball sah aus, als könnte er einen Schwall Blut nach allen Seiten spucken, und obwohl es keinen Sinn machte, sich so etwas zu wünschen, schien es, als könnte es ein schönes Gefühl sein, dabei zuzusehen.
    „Was tun wir?“, fragte Artur. „Fangen wir ihn ab?“
    Henning sah dem Geschöpf entgegen. Eine Leiche in einer weißen Membran. So lächerlich es klang, wenn man es aussprach, so grauenvoll war es, so etwas betrachten zu müssen. Ektoplasma , dachte Artur. Der Stoff, mit dem Geister in unserer Welt materialisieren können.
    „Hinter uns ist keiner mehr“, stellte Henning fest. „Wo immer der Ball hin muss, es ist hinter uns, und wir stehen davor.“
    „Wir sind Torwart“, fasste Artur zusammen. „Aber Torwart gibt es immer nur einen. Ich überlasse es gerne dir.“
    „Du irrst dich. Du bist derjenige, welcher.“
    Der Galgenhumor, der in ihren Worten mitschwang, verschwand, als der Untote nahe genug herangekommen war. Die gebrochenen Augen, in denen ein klebriger, schmieriger Funke Motivation aufblinkte, der auf und ab schwingende Unterkiefer, die Füße, die den Boden nicht erreichten – ein solcher Anblick ließ keinen Raum mehr für Humor.
    Das Wesen war keine fünf Meter von Artur entfernt, als sich in dessen Innerem etwas regte. Eine Kraft erwachte, an die er in den letzten Minuten oft gedacht hatte. Würde ihn sein Schutzengel retten?
    Diesmal war es anders als sonst. Er hörte ein Knurren, tief in seinen eigenen Gedanken. Er roch ein Tier, und Fell kitzelte seine Nase. Dann flog ein wolfsähnliches Schemen auf den Untoten zu.
    Krallen fuhren herab, und die weiße Hülle wurde aufgeschlitzt. Die Seele verlor den Ball und das Gleichgewicht dazu. Sie stürzte, doch noch ehe der freigelegte Totenleib auf dem Boden aufschlug, war das Schemen über ihm. Lange, scharfe Zähne verbissen sich im Nacken der Seele, der Körper wurde geschüttelt wie eine lebensgroße Marionette. Ein schmatzendes Geräusch, das Genick aus schwammigem Ektoplasma wurde zermalmt. Der Ball rollte in Arturs Richtung, blieb vor seinen Füßen liegen.
    Beiläufig bekam er mit, wie Henning die Flucht ergriff. Er sah es also auch. Warum auch nicht? Es geschah tatsächlich.
    Artur erkannte zwei Dinge in dem

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