Falkengrund Nr. 32
Er fühlte sich ungeheuer hilflos. „Doktor, ich … vertraue Ihnen.“ Was für ein dummes Gewäsch war das? Vertrauen? Glaubte er wirklich, diesen skrupellosen Bastard mit ein paar süßlichen Worten milde stimmen zu können? Dieser Bestie würde es nicht das Geringste ausmachen, wenn er hier auf dieser durchgelegen Matratze verreckte!
Durch die Schlieren erkannte er, wie der Arzt den Beutel erneut wechselte.
Moment.
Hatte er nicht schon zweimal fünfhundert Milliliter gegeben?
„Das ist“, krächzte er und kämpfte die Übelkeit zurück, die ihm den Magen gegen die Lunge drückte und das Sprechen zur Qual machte, „der dritte Beutel.“
„Sie irren sich“, entgegnete der Arzt gelassen. „Es ist erst der zweite.“
„Nein. Nein! Es ist …“ Seine Lippen wurden pelzig. Sein Bewusstsein kippte weg. Dann war es wieder da.
Er lag nicht mehr. Er stand. Jemand stützte ihn. Hasselburgh. Nur deshalb konnte er überhaupt stehen. Und deshalb, weil er in der Ecke eines Zimmers lehnte, einer kleinen Kabine. Eines Aufzugs. Die Welt drehte sich noch immer, so stark, dass er nicht sagen konnte, ob der Fahrstuhl aufwärts oder abwärts fuhr. In der Kabine roch es, als hätte sich jemand übergeben. Wahrscheinlich war es er selbst gewesen. Sein Magen hatte sich zu einem winzigen Knoten zusammengezogen.
Außerdem war er nackt. Nicht einmal Unterwäsche trug er mehr. Hasselburgh, dieser Teufel, hatte ihn bis auf die Haut entkleidet. Er schämte sich, bedeckte seine Genitalien mit der Hand.
„Sie haben … zu … viel genommen.“ Zu gerne hätte er die Beutel gesehen, nebeneinander aufgereiht. Es waren drei gewesen, darauf hätte er sein Vermögen verwettet. Eineinhalb Liter von seinem Blut. Konnte ihn das nicht umbringen? War genug übrig, um sein Gehirn zu durchbluten? Mit welchem Recht geschah so etwas? Lebten sie nicht in einem Rechtsstaat, in einem Königreich sogar, und im 20. Jahrhundert?
Schweigend zerrte ihn der Arzt in ein dunkles Zimmer, lud den nackten Mann auf einen Stuhl. Als Dunstey herunterzukippen drohte, schlang ihm Hasselburgh kurzerhand ein Tau um den Bauch und band ihn an der Rückenlehne fest. Sein Kopf fiel zur Seite, eine unbestimmte Zeit lang schwebte er in einem Reich zwischen Bewusstsein und Ohnmacht.
Jemand schaltete ein Licht an. „Stellen Sie Ihre Frage, Dunstey. Ihre Zeit läuft ab.“
Die Formulierung durchdrang ihn wie ein Messerstich. War die Rede von seiner Besuchszeit? Oder war seine … Lebenszeit gemeint? Er war ohnmächtig gewesen – wer wollte schon sagen, ob es bei den drei Beuteln geblieben war? Sein Körper fühlte sich steif an, und er fror. Seine Hände waren wie Eis. Er versuchte das Seil zu ertasten, das um seinen Bauch lief, den Knoten zu suchen und zu öffnen, aber seine Finger konnten die Schnur nicht einmal richtig greifen.
Das Licht half ihm nicht. Es verlieh den dunklen Punkten, die noch immer vor seinen Augen tanzten, eine gleißende Aura, nichts weiter.
„Ihre Frage, Dunstey!“
Es war immer noch Hasselburghs Stimme. Jetzt klang sie viel unsicherer. Der Mann war nervös, wünschte sich vermutlich, diesen Raum schnell verlassen zu können. Aber die anderen erwarteten wohl, dass er bei Dunstey blieb, ihn wieder mitnahm, wenn es zu Ende war.
Ihn?
Oder seine Leiche?
„Meine Frage …“ Dunstey beging den Fehler zu husten. Als er einmal damit angefangen hatte, konnte er nicht mehr aufhören. Vielleicht die Kälte. Seine Zähne klapperten. Aber das machte ihn munter. Seine Augenlider ließen sich weit öffnen, die Flecken verblassten, er sah einen Keller, eine gemauerte Wand, und eine Öffnung darin, die in die Dunkelheit führte. Vor ihm stand ein einfacher Holztisch. „Meine Frage … bezieht sich auf dieses Bild hier …“
Er griff an die Stelle, wo unter anderen Umständen die Tasche seines Jacketts gewesen wäre. Es war eine so alberne Bewegung, dass er über sich selbst lachen musste. Hatte er doch glatt vergessen, dass er nackt war! Er saß in einem kalten Keller, von einer blauen Gänsehaut überzogen, fror sich sämtliche Extremitäten ab, und vergaß, dass er nackt war! Was so ein Blutverlust für einen scheußlichen Klumpen Dummheit aus einem Gehirn machte, auf das er sich gewöhnlich einiges einbilden konnte!
„In meiner Kleidung ist ein Foto“, kam es über seine bibbernden Lippen.
„Ich werde nicht hochgehen und es holen.“ Eine klare Antwort von Hasselburgh. Dunstey sah ihn jetzt schräg neben sich stehen, untätig, unbeteiligt
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