Falkengrund Nr. 32
SUN kannten. Dunstey ergatterte den letzten freien Stuhl zwischen zwei dicken Männern. Der linke hatte einen Zinkleimverband um die Hand, der andere stellte sein vollständig eingegipstes Bein quer durch den kleinen Raum. Eine Frau gegenüber hatte die einzige Modezeitschrift ergattert und hielt sie umklammert, als würde sie lieber auf ihre Behandlung verzichten als sie jemals wieder aus der Hand zu geben.
Dunstey starrte ins Leere. Er hatte seine rechte Hand ungeschickt in Mull gewickelt und so in die Tasche gesteckt, dass noch ein Zipfel des Verbandsmaterials heraushing. Es sah aus, als hätte er sich geschnitten und wartete darauf, genäht zu werden.
Und genau so sollte es aussehen.
Die offizielle Sprechzeit ging bis 17 Uhr, doch erst um 18.30 Uhr wurde der vorletzte Patient hereingerufen, und anschließend war der Designer an der Reihe.
„Dr. Hasselburgh hat jetzt Zeit für Sie“, verkündete eine junge Sprechstundenhilfe mit riesigen Hamsterzähnen. Die Müdigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben, und sie gab sich keine Mühe, sie zu verbergen. Dunstey wartete noch einmal eine halbe Stunde in Behandlungszimmer 3 und betrachtete alte Kalenderblätter.
Dr. Hasselburgh war ein grauer, irgendwie schiefer Mann mit einer Brille, die ihn niederzudrücken schien. Sein weißer Kittel war voller dunkler Flecken, seine Schuhe zu braunen Fladen heruntergetreten. Er grüßte Dunstey nur flüchtig und traf die Vorbereitungen für eine Blutentnahme, während er in unregelmäßigen Abständen „Mh“ oder „M-hm“ brummte. Als er den Patienten schließlich ansah, schien er überrascht.
„Sie haben den Ärmel noch nicht hochgekrempelt“, stellte er fest.
„Doktor, ich …“
„Sie sind doch nicht wirklich verletzt, oder?“
Dunstey verzog den Mund, wickelte den Verband ab und warf ihn neben sich. „Nein, das nicht. Aber … Doktor, bitte hören Sie mich an! Diesmal habe ich nur eine kurze Frage. Ist es denn wirklich nötig, in diesem Fall das … Ritual durchzuführen?“
Das Gesicht hinter der Brille schaltete von ernst auf angespannt. „Was Sie ein Ritual nennen, Dunstey, ist eine Bezahlung. Wenn ich mich mit den Krankenkassen auf solche Diskussionen einlassen würde, wie Sie sie mir aufzudrängen versuchen, könnte ich meine Praxis schließen.“
„Wer redet denn von Geld? Ich meine etwas ganz anderes. Und Sie wissen …“
„Legen Sie sich auf die Liege!“, befahl Hasselburgh.
„In Ordnung“, stöhnte der Modedesigner. „Regen Sie sich nicht auf.“ Eilig kam er der Anordnung nach, zog sich vor dem Hinlegen das leichte Jackett aus und schob den rechten Hemdsärmel nach oben. Die Adern traten blau und einladend auf seinen dünnen Armen hervor. Es jagte ihm Angst ein. „Sie werden doch nicht wieder so viel entnehmen wie beim letzten Mal?“ Seine Stimme zitterte ein wenig.
„Ein Liter ist der Tarif“, sagte der Arzt nüchtern.
„Aber bei einer gewöhnlichen Blutspende werden nur 500 Milliliter entnommen!“
„Sie haben fünf Liter Blut im Leib. Machen Sie sich nicht in die Hose.“
Dunsteys Körper spannte sich. „Sie garantieren mir also die Unbedenklichkeit der Entnahme.“
„Nein. Ich habe lediglich eine Aussage über die Blutmenge in Ihrem Organismus getroffen.“
Dunstey hob die Hände. „Das ist Wahnsinn! Ich habe meine Rechte als Pat-…“ Mitten im Satz fiel ihm ein, dass er kein Patient war.
„Entspannen Sie sich“, verlangte der Mediziner, und kaum hatte das letzte Wort seinen graulippigen Mund verlassen, steckte schon die Kanüle in Dunsteys Arm. Hatte dieser Quacksalber die Stelle überhaupt desinfiziert? Dunstey konnte sich nicht erinnern, die Kühle der Desinfektionsflüssigkeit gespürt zu haben, und seine Haut glänzte um den Einstich herum nicht. Die Kanüle schmerzte in seiner Vene, und seine Augen versuchten etwas zu finden, womit sie sich ablenken konnten, doch sie blieben immer wieder an dem Kunststoffbeutel hängen, der neben ihm baumelte und sich bereits mit seinem Blut zu füllen begann.
Dunkelrot war es, fast schwarz. Es sah so kostbar aus. 500 ml, stand in kleinen hellen Buchstaben in vertikaler Richtung auf dem Plastik.
Als Dr. Hasselburgh den Beutel wechselte, fühlte Dunstey ein Kribbeln in den Armen. Dunkelgraue Flecken pulsten vor seinen Augen, und langsam wurden sie größer und undurchsichtiger. „Doktor“, keuchte er. Wie viele Minuten waren vergangen? Er hatte sein Zeitgefühl verloren, und der Raum kreiste in langsamen Schwenks um ihn.
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