Falkengrund Nr. 32
Studentin dann nicht zu kennen?
Georg Jergowitsch, der größte und bulligste unter den Studenten, hatte bisher zugesehen, doch nun machte er zwei schnelle Schritte und trat zwischen Angelika und den Bewaffneten. Sein Beschützerinstinkt war erwacht.
Das ließ der andere sich nicht gefallen. „Gehen Sie aus dem Weg, oder ich muss Sie erschießen.“ Die Botschaft war eindeutig. Der Fremde drückte sich erstaunlich gewählt aus. Er sagte nicht abknallen oder kaltmachen . Wer war er?
„Georg“, flüsterte Jaqueline Beck, die direkt neben dem hünenhaften Studenten stand, „spiel bitte nicht den Helden.“
„Sie hat recht“, ließ sich Angelika vernehmen. Auf wackeligen Beinen kam sie hinter dem Breitschultrigen hervor, die Arme zur Seite abgewinkelt, wie ein Soldat, der sich dem Feind ergab. „Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen, aber … eine Tote ist genug. Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann sprechen Sie. Jetzt. Hier.“
„Nein“, entgegnete der Fremde. „Du musst mitkommen.“
„Also gut. Wenn es nicht anders geht …“
„Kommt überhaupt nicht in Frage!“, brüllte Werner.
Ein Schuss bellte. Die Kugel schlug direkt vor den Füßen des Rektors ein, schleuderte Kies in die Luft. Er presste die Lippen aufeinander. Die anderen waren alle einen Schritt zurückgewichen, mit Ausnahme von Georg. Mit zeitlupenhaften Bewegungen ging Angelika auf den Mann mit dem Revolver zu. Auf ihrem blassen Gesicht zeigten sich rote Flecken.
Der Fremde näherte sich im Seitwärtsgang dem Wagen, öffnete die Beifahrertür, während die Waffe weiter einen Halbkreis beschrieb. Auch seine Gesichtshaut war fleckig von der Aufregung. Er blinzelte, wirkte übernächtigt, aufgedreht, nicht ganz Herr seiner Sinne. „Kommen Sie nicht auf die Idee, mich mit einem Ihrer Autos zu verfolgen“, sagte er krächzend. „Ich habe mir die Marken und Farben gemerkt. Wenn ich einen dieser Wagen im Rückspiegel sehe, ganz gleich, wo oder wann, dann stirbt diese junge Frau hier.“ Um seine Worte zu unterstreichen, zielte er für einen Moment auf die Schläfe von Angelika, die inzwischen den Daimler erreicht hatte. Werner verkrampfte sich.
„Damit kommen Sie nicht durch“, meinte Fachinger. „Fünfzehn Leute sind Zeugen, haben Sie gesehen. Wir kennen sogar die Nummer Ihres Wagens. Sobald Sie weg sind, rufe ich meine Kollegen an, und in einer Minute haben wir eine Großfahndung am Laufen.“
„Das werden wir sehen. Rein mit dir! Mach schon!“
Angelika gehorchte, und als der Mann ihr befahl, sich den Sicherheitsgurt anzulegen, tat sie auch das. Er klatschte die Tür zu, und nun schien er es eilig zu haben. Mit ein paar großen Sätzen gelangte er zur Fahrerseite, sprang in den Wagen und startete ihn. Der Daimler fuhr mit durchdrehenden Reifen an, jagte auf das Tor zu.
Fachinger lief zu seinem Auto, um ihm zu folgen, doch ehe er einstieg, ließ er seine Faust auf das Dach knallen und fluchte gotteslästerlich. Er konnte es nicht tun. Es war zu gefährlich. Nachdem er sich eine Weile mit Tritten gegen die Reifen abreagiert hatte, betätigte er sein Handy. Die anderen hatten unwillkürlich einen Kreis um ihn gebildet. Es dauerte eine mittlere Ewigkeit, ehe Fachinger den am Apparat hatte, den er sprechen wollte. „Es gibt Beamte“, raunte er bei abgedecktem Mikrofon den anderen zu, „die schalten ihr Handy während der Mittagspause ab und setzen sich in ein Restaurant, ohne irgendjemandem zu sagen, in welches.“ Er bebte vor Wut. Nach einer endlosen Viertelstunde hatte er den Richtigen an der Strippe und ihm das Versprechen abgenommen, eine Fahndung nach dem dunkelblauen Daimler in die Wege zu leiten.
Ein Lieferwagen kam nun in die Einfahrt zum Schloss herein. Natürlich – das Catering.
„Uns ist etwas Komisches passiert“, meinte einer der beiden Männer, ein Südländer. „Da unten am Waldrand stand ein Wagen, und es sah doch glatt so aus, als würde der Fahrer das Nummernschild austauschen.“
„Haben Sie die Nummer notiert?“, wollte Fachinger aufgeregt wissen.
Der Mann nickte stolz und reichte ihm einen Zettel, auf dem die Zulassungsnummer stand. Und zwar exakt jene, die er eben zur Fahndung durchgegeben hatten.
„Nein, nicht diese Nummer! Die andere, durch die er diese hier ausgetauscht hat.“
Der Mann zuckte nur entschuldigend die Achseln, und Fachinger griff sich an die Stirn.
„Jetzt haben wir wohl gar nichts, außer den Beschreibungen der Person und des Fahrzeugs“, meinte Werner. „Das darf doch
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