Falkengrund Nr. 33
Bettlerin.
„Die steht schon eine Weile da“, flüsterte Smith. „Irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Ich spüre es.“
Enene hatte sie nicht bemerkt. Aber er musste dem Mann Recht geben. Die unheimliche Aura der jungen Frau war deutlich zu spüren. Hätte ihn der Film nicht so restlos vereinnahmt, wäre es ihm gewiss früher aufgefallen.
Enene und Dr. Smith erhoben sich gleichzeitig.
Die Frau hustete, würgte. Aus ihrem Mund lief ein Faden einer dunklen Flüssigkeit. Es konnte nur Blut sein. Sie beugte sich nach vorne, hielt sich den Bauch, als wolle sie sich übergeben.
„Vorsicht!“ Enene schrie es und ließ sich gleichzeitig fallen. Er hatte Smiths Schulter gepackt und den Mann gewaltsam zu Boden gezerrt. Keinen Augenblick zu früh! In dem stroboskopartigen Flackern des Lichts war ein riesiger Tentakel zu sehen, der aus dem Mund der Fremden mitten in den Raum zuckte. Das schlauchartige Ding verfehlte die beiden Männer nur knapp und schlug gegen den Kopf eines Sitzenden in der zweiten Reihe. Er hatte eben den Kopf gedreht, und der Tentakel traf ihn mitten ins Gesicht.
Die Haut des Mannes schien aufzuplatzen. Die Lichtverhältnisse machten es schwierig, etwas zu erkennen, aber es sah so aus, als würde der Tentakel in Fleisch und Knochen des armen Teufels eindringen.
Dr. Smith und Enene robbten vorwärts, beide in unterschiedliche Richtungen. Enene kroch auf die Frau zu, während der Mann im weißen Anzug die rechte Zimmerecke anpeilte. Smith zerrte etwas unter seinem Jackett hervor. Als Enene die Füße der Kahlköpfigen zu fassen bekam und daran zog, schleuderte Smith ihr etwas entgegen.
Es war eine Art Wurfpfeil, er blitzte nur kurz auf, ehe er sich in ihren Oberarm bohrte. Sie schrie nicht, sondern trat nach Enene, verlor jedoch das Gleichgewicht und stürzte. Der Schlauch aus ihrem Mund zuckte zurück. Im nächsten Moment würgte sie weitere davon heraus, die nun auf Enene und Smith zu schossen.
„Wir müssen sie vernichten“, rief Smith.
Enene zögerte. Er hatte noch nie einen Menschen getötet. Auch keine Hexe, keinen Dämon, keinen Zombie. Aber er sah ein, dass Smith Recht hatte. Die Frage war nur, wie er es anstellen sollte. Und ob er noch lange genug leben würde.
Einem Fangarm war er entgangen, indem er sich blitzschnell zur Seite gerollt hatte. Die nächsten flogen bereits heran. Er hatte gesehen, dass schon eine Berührung tödlich sein konnte. Mit einem Aufschrei sprang er auf die Beine, griff neben sich nach dem Stuhl, auf dem er Sekunden vorher noch gesessen hatte, schwang ihn und schlug damit nach den Tentakeln. Sie ließen sich abwehren, aber nicht verletzen. Unbeirrt griffen sie erneut an.
Die Frau, aus deren Mund sie kamen, lag auf dem Rücken. Ihre Hände krallten sich in ihre Kehle, als wolle sie sie zerreißen. Ihr Gesicht war eine Fratze des Schmerzes. Sie stieß furchtbare schabende Laute aus. Waren es Schmerzensschreie, oder wollte sie etwas sagen?
Smith trat mit dem Schuh nach einem der Tentakel, doch auch ihm gelang es nicht, den fleischigen Schlauch zu zermalmen. Im Raum roch es jetzt nicht mehr nach den Ausdünstungen der Zuschauer. Der Geruch von Galle dominierte.
Inzwischen waren alle aufgesprungen. Das flackernde Licht, das der Film schuf, ließ ihre Gesichter zu furchterregenden Masken erstarren. Sie wollten zum Ausgang, aber dort befand sich das Monstrum, also drängten sie sich in den gegenüberliegenden Ecken. In der Panik geschah es: Jemand verhedderte sich im Kabel des Fernsehers und riss das Gerät von dem kleinen Tischchen, auf dem es stand. Es knallte, das Bild erlosch, und der Raum lag in vollkommener Finsternis. Selbst Smiths weißer Anzug verschwand, als hätte es ihn nie gegeben.
Enene hatte nie in seinem Leben solche Sekunden durchlebt. Er schwang weiterhin den Stuhl, unterließ es jedoch, als er jemanden traf, der daraufhin laut aufschrie. Sie waren verloren. Er hörte, wie die Tentakel jemanden erreichten und töteten. Er konnte nichts tun. Seine Fähigkeiten als Schamane waren begrenzt, und um sie einsetzen zu können, brauchte er viel Ruhe.
Er glaubte zu hören, wie die Frau über den Boden rutschte. Möglicherweise wurde sie von den Tentakeln gezogen. Wenn er Recht hatte, war die Tür nun frei, und wenn er jetzt noch die Richtung genau im Kopf hatte …
Die Tür – er ertastete sie, drückte sie auf.
Kaum Licht. Nur ein matter Schein. Er warf einen Blick hinter sich und konnte nur Schemen erkennen.
Enene rannte nach draußen. Die
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