Falkengrund Nr. 33
stellte sich vielleicht einen recht hohen Lebensstandard vor, wie in Südafrika.
Die wenigsten malten sich aus, welche Hölle das Land war. Im Schatten der Bohrtürme und Fabriken lebte eines der ärmsten Völker der Welt, zerrissen von rücksichtlosen Kolonisten, brutalen Kapitalisten und religiösen Fanatikern. Die Millioneninvestitionen, die unablässig in das Land flossen, erreichten niemals die einfachen Leute.
Enene wurden diese Dinge bewusst, während sie zu Fuß den Videoladen ansteuerten, den Dr. Smith ihm zeigen wollte. Einerseits genoss er das brodelnde Leben, die trockene Wärme, das angenehme Durcheinander. Doch in einigen Gassen wurde selbst ihm mulmig.
„Hier!“, zupfte ihn Smith am Hemd, als er eine Gruppe von drei Jugendlichen musterte, die ihnen mit finsteren Blicken zu folgen schienen. „Carl’s Video Tower! Tower heißt es, weil es vier Stockwerke sind.“
Enene sah mit Erleichterung die beiden Security-Männer, die vor dem Laden standen. Sie überragten selbst ihn noch um einen Kopf und wirkten sehr gefährlich. Er beobachtete, wie Smith jedem von ihnen ein kleines Bündel Geldscheine zusteckte. Daraufhin zückten die beiden ohne Umschweife ihre Revolver und gaben den drei Jugendlichen zu verstehen, dass sie besser die Fliege machten.
Der Laden war nicht riesig, aber er war vor allem eines: Voll.
Sogar auf den Treppen standen noch Regale. Enene versuchte die Zahl der Videos zu schätzen, die hier zum Verleih und Verkauf angeboten wurden. Er kam auf etwa fünftausend allein im Erdgeschoss. Dutzende von Kunden – in der Hauptsache Männer – betrachteten die Videohüllen. Jeder Gang wurde von einem Aufpasser überwacht. Ladendiebstahl stellte wohl ein echtes Problem dar.
Carl, der Besitzer des Ladens, war höchstpersönlich anwesend. Er schien Dr. Smith zu kennen. Vermutlich war dieser ein guter Kunde. Als der Weißgekleidete seine Videos zurückgab, stellte Enene fest, dass Horror nicht das einzige war, was den falschen Doktor interessierte. Auch Pornos waren zur Genüge darunter.
Enene sah sich um. Den Covern nach zu urteilen, sparten die Grusel- und Actionschinken nicht mit Blut und Gewalt.
Was viele Menschen nicht wussten: Seit einigen Jahren hatte Nigeria in Sachen Filmproduktion weltweit den dritten Platz inne, zumindest wenn es um Masse ging. In Anlehnung an Hollywood und Bollywood nannte man den hiesigen Markt Nollywood. Jährlich wurden hier mehr als eintausend Filme gedreht und meist auf Video verkauft. Die Mehrzahl davon waren Horrorstreifen. Sie basierten auf lokalen Geistergeschichten, auf dem auch unter nigerianischen Christen und Moslems verwurzelten Glauben an Magie und Hexerei. Es waren durch die Bank Billigproduktionen mit Amateurschauspielern und ohne Special Effects, Filme, die sich außerhalb von Afrika nicht verkaufen ließen. Auf dem schwarzen Kontinent dagegen fanden sie ihre Abnehmer, von Jahr zu Jahr mehr. Dass Milliarden illegaler Kopien die Runde machten, störte die hiesige Filmindustrie wenig. Sie verdiente immer noch genug, um nach Abzug der lächerlichen Produktionskosten ein gutes Geschäft zu machen. Carl hatte kaum noch Hollywoodfilme in den Regalen. Das war typisch – die nigerianischen Produktionen liefen einfach besser.
Enene hatte einmal gehört, dass der Boom 1991 mit einem Händler begonnen hatte, der leere Videokassetten zu verkaufen versuchte. Da niemand sie haben wollte, blieb er darauf sitzen – also drehte er mit ein paar Freunden und einer billigen Videokamera kurzerhand einen Film, kopierte ihn auf sämtliche Kassetten, und das Wunder geschah: Der Streifen verkaufte sich eine Million Mal!
„Verraten Sie Carl, was Sie suchen“, forderte Dr. Smith ihn auf. „Er kennt seine Ware. Er kann Ihnen bestimmt helfen.“
Enene bezweifelte zwar, dass irgendjemand Zehntausende von Filmen gesehen hatte und auseinanderhalten konnte, aber auf einen Versuch ließ er es trotzdem ankommen. „Ein Horrorfilm“, sagte er. „Schatten. Keine Eguns , keine Orishas , keine Magie, kein Voodoo. Nichts aus den alten Geschichten. Etwas Neues. Schwarze Schatten. Sie bewegen sich ruckartig. Tragen Geweihe auf dem Kopf, und …“
Carl hob die Hand, um seinen Redefluss anzuhalten. Und Enene verstummte tatsächlich.
„Der Film, von dem Sie sprechen, heißt ‚Blacker Than Black’. Guter Streifen. Sehr verstörend. Immer ausgeliehen“, gab Carl zur Auskunft.
Dr. Smith beschwerte sich: „Den habe ich ja noch gar nicht gesehen!“
„Kommen Sie mit!“
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