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Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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liebsten ein Glas Wasser anbieten , dachte Enene und fragte sich, ob wohl jeder, der ihn zum ersten Mal sah, denselben Gedanken hatte.
    Nun bewegten sich die Lippen ein wenig, nuschelten ein paar kaum vernehmbare Worte in die Stille der Kirche. „Es tut mir leid. Sie kommen zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Pater Simon ist im Moment mit anderen Angelegenheiten beschäftigt.“ Die Akustik in dem leeren weißen Raum zwischen den steinernen Wänden war so enorm, dass selbst diesem Hauchen ein pulvriger, himmlischer Hall anhaftete wie ein Ornament. Unsichtbare Chöre schienen ihre Lieder anzustimmen, kaum dass ein Geräusch entstand.
    Eine zerknitterte, dunkelbraune Zungenspitze erschien für einen Augenblick im Mund des Mannes und raschelte über die Lippen.
    „Ich kann warten“, erwiderte Enene knapp. Er hatte Zeit mitgebracht, hatte niemals erwartet, sofort vorgelassen zu werden.
    Die Blicke, die bisher ins Leere gegangen waren, als könnten sie dort etwas erkennen, ruckten nun näher. Näher, aber nicht ganz bis auf Enenes Gesicht. „Nein, Sie verstehen mich nicht. Er kann Sie nicht sehen. Nicht jetzt und nicht nachher.“
    „Also morgen?“
    „Nicht morgen. Und nicht übermorgen.“
    „Ist … er tot?“
    „Ich sagte nicht, er ist tot. Ich sagte, er ist beschäftigt.“
    Enene nickte und tat so, als wolle er sich zum Gehen wenden. Sein Gegenüber regte sich nicht, stand wie eine Statue da, die Augen halb geöffnet.
    Dann sagte Enene: „Würde dein Gott seinen eigenen Sohn wegschicken, wenn er mit einer Bitte in sein Haus käme?“
    Der andere zuckte zusammen. Unter seiner Kutte bewegte sich etwas. Der verborgene Körper hatte einen viel zu großen Umfang, war zu feist für das ausgelaugte Gesicht. „Das ist eine Frage, wie sie der Teufel stellen würde“, erklärte er.
    Enene musste lachen. „Dann entschuldige ich mich dafür. Aber es stimmt, ich bin sein Sohn. Und ich werde nicht gehen, ehe ich mit ihm gesprochen habe.“
    „Das hier ist eine Kirche“, erwiderte der Mann mit gespielter Gleichgültigkeit. „Sie können hier bleiben, so lange Sie möchten.“ Als Enene ihn näher betrachtete, fiel ihm auf, dass er ihn viel zu alt geschätzt hatte. Diese Züge waren nicht von zahlreichen Lebensjahren geprägt, sondern von außergewöhnlichen Entbehrungen. Von einer Krankheit vielleicht? Wohl eher von selbst auferlegten Kasteiungen. Dieser Mönch hatte etwas von einem indischen Yogi an sich. Plötzlich schien es ihm, als wäre der Mann kaum älter als er selbst.
    Enene ließ ihn stehen, machte eine langsame Runde durch die menschenleere Kirche und setzte sich schließlich in die erste Reihe. Dabei behielt er den Verhärmten im Auge. Als dieser das Gotteshaus verließ, begann der Besucher zu zählen, langsam und konzentriert. Noch ehe er bei Fünfzig angelangt war, öffnete sich das Kirchentor, und ein sehr gut genährter, großer Mann mit Glatze trat herein. Seine Kutte wallte majestätisch, doch sie war frei von Verzierungen oder gar Prunk. Was die Kleidung anging, unterschied er sich in nichts von dem, der ihn geholt hatte. Doch seine Art des Auftretens war eine grundlegend andere. Der Mann mit dem verdorrten Gesicht folgte einige Schritte hinter ihm und stellte sich etwas abseits der beiden, den Kopf geneigt, bescheiden, ergeben oder … verstohlen?
    „Mein Sohn!“, rief Pater Simon mit volltönender Stimme. „Dass ich dich einmal in einem Haus Gottes antreffen würde … Lass dich umarmen!“ Herzlichkeit war keine zu spüren, und dennoch – nicht nur Lüge klang aus den Worten des Geistlichen. Eine gewisse Freude schien echt zu sein. Vielleicht die Freude, ein neues Schäfchen gewonnen zu haben. Er sprach Englisch, kein Yoruba. Das überraschte Enene kein bisschen.
    Enene erhob sich, ging jedoch nicht auf den Mann zu. Er kannte sein Gesicht nicht. Als der Mann, der sein Vater war, seine Mutter mit ihm zurückgelassen hatte, war er ein zweijähriges Kind gewesen, und es existierten keine Fotos. Da gab es keine Erinnerung, kein Wiedererkennen, nicht einmal ein sachtes Anklingen einer Saite tief in seinem Inneren. Pater Simon, wie er sich jetzt mit seinem biblischen Namen nannte, war ein Fremder für ihn. Dieser Mann war nun ein Vater für viele. Sein eigener war er nur für eine kurze Zeit gewesen, an die er sich nicht mehr entsinnen konnte. Jeder Mensch an seiner Stelle hätte sich um etwas Wichtiges betrogen gefühlt. Und genau so ging es ihm.
    „Deine Begeisterung ist verfrüht“, meinte

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