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Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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war, das diese leidende Gestalt für die Menschen so faszinierend machte. Die Götter der Yoruba, die Orisha , waren prachtvolle Personen voller Energie. Dieser Christus strahlte für ihn nur Schwäche aus. War diese Schwäche sein Geheimnis?
    „Ich habe gehört, Jesus war in Wirklichkeit dunkelhäutig“, bemerkte Enene, völlig ohne Zusammenhang. Es war ihm einfach so eingefallen. Dieser Jesus war völlig aus Stein, farblos, universell.
    „Er war weder schwarz noch weiß. Er war Jude“, erwiderte der Pater. „Stell dir einen Araber vor, dann hast du einen ungefähren Eindruck. Vermutlich war er nicht so hager, wie er oft dargestellt wird. Er könnte klein und dick gewesen sein. Vielleicht war er kahlköpfig, kurzsichtig, lahm, hatte Pickel oder eine krumme Nase. Ist das so wichtig?“
    „Welche Hautfarbe hat Satan?“
    „Worauf willst du eigentlich hinaus?“
    Plötzlich lief Enene los. Er rannte auf das Portal zu und hastete hinaus in die Hitze des Tages. Einige Häuser im britischen Stil scharten sich um die Kirche, die von außen viel kleiner wirkte. Es war nicht schwierig herauszufinden, welches dieser Gebäude das Pfarrhaus war. Enene betrat es und beeilte sich, alle Türen aufzustoßen, in alle Zimmer zu sehen.
    Dabei fand er nicht viel. Die Einrichtung war europäisch, sehr schlicht, es gab nichts Überflüssiges. Ein kleines Zimmer, dessen Fenster nach Süden wies, diente als Bibliothek. Das Bücherregal beinhaltete nichts, was dort nicht hingehört hätte. Enene stöberte sogar die Schubladen durch. Auch dort gab es keine Hinweise darauf, dass sein Vater sich mit etwas anderem beschäftigte als mit seinen alltäglichen kirchlichen Aufgaben. In einer armseligen, aber sauberen Küche bereitete eine winzige alte Frau Essen.
    „Wenn du hungrig bist, kannst du dich mit uns an einen Tisch setzen und dich sättigen.“
    Enene wirbelte herum. Sein Vater stand im Flur, der junge Mann mit dem alten Gesicht wartete einen Schritt schräg hinter ihm. Noch immer schien der Mönch ihn nicht anzusehen.
    Enene seufzte. Was er getan hatte, war ihm peinlich. Die Annahme, ausgerechnet bei seinem Vater neue Hinweise zu finden, die ihn auf die Spur der Schatten bringen würden, war von Anfang an unrealistisch gewesen. Nicht einmal sein Großvater hatte etwas von ihnen gewusst. Trotzdem hatte der Besuch bei ihm Enene weitergeholfen – im Gegensatz zu dem Besuch hier. Wie es aussah, bestand der einzige Sinn, seinen Vater aufzusuchen, darin, alte Wunden aufzureißen und sich selbst zum Narren zu machen. Er hätte es wissen müssen.
    „Entschuldige mein Verhalten“, sagte er abrupt und aufgebracht. „Es ist besser, ich beende dieses Treffen jetzt.“
    Pater Simons Blicke ließen ihn nicht los. „Das ist dir freigestellt, mein Sohn.“ Die letzten beiden Worte ließ der Kirchenmann unbetont, als spreche er damit irgendein Mitglied seiner Gemeinde an.
    Enene drückte sich an ihm und dem anderen Mönch vorbei. „Übrigens“, meinte er, ohne sich zu ihnen umzuwenden. „Deinem Vater geht es gut. Ich habe ihn vor wenigen Tagen gesehen. Falls es dich überhaupt interessiert, meine ich.“
    Der Pater stieß hörbar den Atem aus. „Es interessiert mich. Aber mehr noch interessiert mich, was mit dir ist. Kaum bist du hier aufgetaucht, verschwindest du schon wieder. Wo willst du jetzt hin? Was tust du als nächstes? Mir kommt es so vor, als würdest du dich in eine Schlacht begeben, ohne deinen Gegner zu kennen …“
    Jetzt war Enene stehengeblieben. Noch immer wandte er den anderen seinen Rücken zu.
    „Ich biete dir einen Rat an“, sagte Pater Simon sanft. „Er kommt ohne Bedingungen, und Gott wird es dir verzeihen, wenn du ihn ablehnst.“
    „Und wie lautet dieser Rat?“
    „Geh, wohin du gehen musst, aber geh nicht alleine.“
    Der Mönch mit dem zerknitterten Gesicht schob sich neben Enene, seine abgezehrten Züge produzierten ein vages Lächeln.
    „Das ist Bruder Quirinius“, erklärte der Pater. „Er hat mir anvertraut, dass er dich gerne begleiten würde.“
    „Das kommt nicht in Frage!“ Nein, das war wirklich ausgeschlossen. Er konnte keinen Klotz am Bein gebrauchen, und schon gar nicht einen weltabgewandten Asketen, der glaubte, gegen die Heerscharen Luzifers zu kämpfen. Er würde ihm nur Probleme bereiten. Was dachte sein Vater sich eigentlich?
    „Ich werde mich nützlich zu machen wissen“, versicherte Quirinius, den Kopf devot nach vorn geneigt.
    „Schön“, entgegnete Enene barsch. „Dann machen

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