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Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Sie sich nützlich – und zwar hier, wo Sie hingehören.“ Mit diesen Worten verließ er das Haus, ohne sich von seinem Vater zu verabschieden.
    Bruder Quirinius folgte ihm in einem Abstand von einigen Metern und ließ sich durch nichts abschütteln. Als Enene sich hinter das Steuer seines Mietwagens klemmte, war der Mönch blitzschnell zur Beifahrertür gehuscht, hatte sie geöffnet und neben ihm Platz genommen.
    „Gehen Sie!“, befahl Enene. „Ich meine es ernst. Verlassen Sie meinen Wagen!“
    Bruder Quirinius schien ungerührt. „Wenn Sie es ernst meinen würden, würden Sie mich mit Gewalt hinauswerfen.“
    Enene stieß ein hysterisches Lachen aus. „Also gut, ich tu’s. Ich werfe Sie eigenhändig aus meinem Wagen. Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt!“
    Doch er tat es nicht. Eine Minute lang starrte er kopfschüttelnd durch die Windschutzscheibe, trommelte auf das Lenkrad. Sein Vater stand vor dem Pfarrhaus, und es sah aus, als würde er grinsen. Schließlich drehte Enene den Zündschlüssel, trat aufs Gas, fuhr mit brüllenden Reifen eine enge Kurve und jagte in einer riesigen Staubwolke aus dem Vorort hinaus. Die einzige Straße, die es hier gab, führte nach Lagos hinein. Es war ein langer, gelber Streifen, ausgestreckt zwischen zwei Reihen einfacher Häuser. Menschen standen an der Straße und sahen dem Auto entgegen.
    Wenn diese Zuschauer sich in Händler verwandelten, die dem Wagen hinterher rannten, wusste man, dass man die Stadt erreicht hatte.
    Enene warf seinem Beifahrer einen Seitenblick zu. Dieser saß aufrecht da und blickte eher desinteressiert durch die Windschutzscheibe, gar nicht wie jemand, der einem Kampf mit Satans Armee entgegenfieberte.

2
    Als der Wagen nicht mehr zu sehen war, kehrte Pater Simon ins Pfarrhaus zurück. Die alte Frau wartete in der Küche auf ihn, sah ihn fragend an.
    „Gib mir die Unterlagen, Maria“, bat der Pater leise. „Ich muss mich weiter mit ihnen beschäftigen. Ich fürchte, es wird bald schon ein großes Treffen geben, und die Kirche wird Position beziehen müssen.“
    Während er das sagte, war die Greisin an den Geschirrschrank gegangen. Im mittleren Regal lagen zusammengelegte Tischdecken und Servietten, und darunter war ein dünner Schnellhefter versteckt, den sie nun hervorzog und dem Pater reichte. Dieser bedankte sich mit einem kurzen Nicken und zog sich in die Bibliothek zurück, wo er den Hefter aufschlug.
    Ganz oben lag eine verwackelte Aufnahme, die jemand mit einem billigen Fotoapparat geschossen hatte. Darauf war die grünliche Wand einer Fabrik zu sehen. Putz und Farbe blätterten ab, Bäume warfen verzerrte Schatten an die Wand. Und doch waren die schwarzen Umrisse eines Menschen zu sehen.
    Eines Menschen?
    Pater Simon betrachtete die Fotografie angestrengt, bis ihm Tränen aus den Augen liefen. Der Schatten war sehr schlank, trug ein Geweih auf dem übergroßen Kopf und war von merkwürdiger Konsistenz. An einigen Stellen wirkten seine Konturen scharf geschnitten, an anderen schienen sie zu verschwimmen.
    Nur widerwillig legte er die Aufnahme zur Seite und las sich die locker beschriebenen Textseiten durch. Augenzeugenberichte. Vermutungen. Interpretationen. Stellungnahmen einiger Kirchenmänner aus Nigeria und anderen afrikanischen Ländern.
    Nach einer Stunde stützte er müde sein Gesicht auf die Hände.
    Was konnte er schon tun? Es blieb ihm nichts als abzuwarten.
    Auf die Neuigkeiten, die Bruder Quirinius bringen würde.

3
    Beim Rundgang durch das Dorf lief Enene eine Gänsehaut über den Rücken – und dies bei 35 Grad im Schatten.
    Manche der Hütten standen offen, und ein Blick ins Innere offenbarte den beiden Besuchern wie tot daliegende, halbnackte Menschen, Männer und Frauen. Der Schweiß ließ ihre Körper glänzen, bei manchen standen die Münder offen. Fliegen umschwärmten sie, doch nicht mit dem brennenden Interesse, mit dem sie sich Leichen näherten. Warum schliefen diese Leute in der größten Hitze des Mittags, außer, weil sie krank waren? Enene ging von einer Hütte zur anderen. Eine innere Stimme flüsterte ihm zu, dass sie eine Dummheit begingen, wenn sie auch nur eine Minute länger in diesem Nest verweilten. Es war die Stimme seiner Angst. Er befahl ihr zu schweigen.
    „Zombies“, murmelte er im Selbstgespräch. „Vampire. Sie schlafen bei Tag, und vielleicht wachen sie bei Nacht.“
    „Aber sie atmen“, warf Bruder Quirinius ein, der nicht von seiner Seite wich. „Es sind keine lebenden

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