Falkengrund Nr. 33
über gehört hatte, veränderte sich im Klang. Es wurde zu einem nicht endenden Donnergrollen. Neue, andere Maschinen. Vielleicht ein Bohrer, der den Schacht in die Tiefe weiter vorantrieb? Oder der Generator, der diese ganze Energie lieferte? Womit wurde er angetrieben?
In den folgenden Sekunden wurden die Geräusche unwichtig. Mit einem Mal spürte er, wie etwas mit seinem Körper vor sich ging. Sein Herz begann zu holpern, ganz leicht nur, aber merklich. Eine Spannung erfasste seine Muskeln, und er fühlte sich, als litte er unter einem schweren Muskelkater. Er erinnerte sich, dass Georg ihm von solchen Symptomen berichtet hatte. Also waren die Schatten nicht fern!
Das schlimmste war ein Schwindelgefühl, das mit jedem Schritt stärker wurde. Er lehnte sich gegen die Außenwand, schob sich vorsichtig weiter, doch die Welt kippte hin und her wie ein Schiff in einem übermächtigen Sturm. Der schwarze Schacht schwappte ihm entgegen, der Sims rutschte unter seinen Füßen hinweg. Aus der Tiefe war ein Stöhnen zu hören. Irgendwo glühte ein silbernes, staubiges Licht auf, kroch durch den Schacht wie eine Schlange aus den Abgründen der Hölle. Es kam von unten. Enene ging in die Hocke, dann auf die Knie, rutschte Zentimeter für Zentimeter auf dem Absatz entlang. Kalter Schweiß ließ seine Finger glitschig werden.
„Komm nicht näher!“, rief er in die Richtung, die er für oben hielt. Zeitweise hatte er das Gefühl, an der Decke zu kriechen wie eine Fliege. Ihm wurde übel, sein Mageninhalt wollte hinaus.
Konzentration , herrschte er sich an. Woher kommen diese Symptome? Von den Schatten selbst, oder von einer Art Schutzschild, den sie aufgebaut haben? Strahlung? Oder ein Gas?
Er riss ein Stück von seinem Hemd ab und atmete hindurch, aber davon wurde ihm nur noch übler. Ein Stück weiter unten übergab sich Bruder Quirinius hörbar in den Schacht. Weiter oben hatten Omoba und Baduwi zu singen aufgehört. Sie schienen sich jetzt zu streiten – ihre Stimmen hallten aufgebracht durch das mit Metall ausgekleidete Loch. Einer von ihnen schlug vor umzukehren, der andere wollte weiter hinab. Es krachte, als die Tragestange an einer Seite gegen die Wand schlug. Die nur noch schwach zu erkennende Silhouette des Käfigs schwankte heftig, und Rupe stieß ein protestierendes Brüllen aus.
„Hört auf damit, ihr Wahnsinnigen!“, schrie Enene. Dann versiegte seine Stimme. Er sah, dass sie nicht mehr unter sich waren.
Die Seitenwände waren in Teilen durchsichtig geworden. Durch eine an Spiegelglas anmutende Schicht konnte man die Welt erahnen, die um sie herum lag. Vor allem aber waren die Schatten zu sehen, sieben oder acht von ihnen. Sie scharten sich um den Schacht, dunkle, flimmernde Gestalten, deren Bewegungen zerhackt waren wie die der Tänzer in dem Film „Blacker than Black“.
„Das sind sie also“, flüsterte Enene. Was Melanie und Georg gesehen hatten, stand leibhaftig vor ihm. Sie wirkten rastlos, wie Gestalt gewordene elektrische Impulse. Ungeschickte Animationen. Von Stroboskopen geworfene Schatten. Handelte es sich um Energiewesen? Vielleicht war das, was sie am Leben hielt, das gleiche, was den Organismus der Menschen durcheinander brachte, die ihnen zu nahe kamen. In Enenes direkter Umgebung befand sich gleich ein halbes Dutzend von ihnen, und er spürte die Anwesenheit jedes einzelnen in sich, als wären sie Schwerter, die sich von allen Seiten in seinen Körper bohrten.
Seine Innereien zogen sich krampfartig zusammen, eisige Hände umgriffen seine Nieren, seine Leber. Er spürte alle seine inneren Organe. Die Augen tränten ihm, die Lider zuckten. Seine Zähne schienen im Kiefer zu vibrieren, und im Kehlkopf hockte ein juckendes, kratzendes Insekt, das hinauswollte.
Über ihm gab es einen gellenden Aufschrei, ein schauriges Echo. Dazu ein Krachen. Die Tragestange, die Rupes Gefängnis gehalten hatte, barst, die Bruchstücke knallten gegen die Wände und flogen pfeifend durch den Schacht. Der Käfig stürzte herab, kollidierte mit einem der Absätze, wurde auf die andere Seite geschleudert. Es hörte sich an, als würden einige Stäbe herausgerissen, und tatsächlich rasten einige Metallstangen klirrend herab. Eine schlug direkt neben Enene ein und erzeugte einen Funkenregen an der Wand. Er kauerte sich zusammen, hielt die Hände schützend über seinen Kopf. Trotzdem sah er, wie der Käfig an ihm vorbeischlingerte. Rupe schien nicht mehr vollständig in seinem Inneren zu sein. Wenn er
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