Falkengrund Nr. 33
verfremdete Fabrikhalle.
Ein Blick zur Seite enthüllte das Nahen der Scheibe. So synthetisch die leuchtenden Würmer auf der Oberfläche auch anmuten mochten – es war ein grauenhafter Anblick. Eben verschwanden die letzten Amulette und Kreuze in der schlickartigen Masse. Sie blieben ohne Wirkung. Kein Rauch stieg auf, es gab keine Erschütterung, kein Bersten, nichts. Dieser Scheibe, diesen Schattenwesen war nicht mit Fetischen und Talismanen beizukommen. Bruder Quirinius war einen sinnlosen Tod gestorben.
Kurz bevor die Scheibe ihn erreichte, hatte Enene eine wahnwitzige Idee. Mit letzter Kraft schob er seinen schweren, nahezu gelähmten Körper ruckweise über den Absatz hinaus, ließ ihn in die Tiefe sacken. Alle Energie, die noch in ihm war, versuchte er in seine Hände zu leiten, um sich damit am Sims festzuhalten. Es war mörderisch. Als sein ganzes Gewicht an den zehn tauben, schmerzenden Fingern hing, erreichte die Scheibe eben seine Füße.
Er schrie seinen Schmerz und seine Todesangst hinaus und gab sich Mühe, die Beine anzuhocken. Es gelang, aber er würde es nur wenige Sekunden aushalten. Die Scheibe schwebte höher. Die Würmer glitten durcheinander. Die Oberfläche war jetzt frei von Rückständen. Alles, was an Baduwi und Bruder Quirinius erinnerte, war verschwunden. Noch einmal zog er die Beine an, zählte auf drei. Sein Herz setzte aus. Überall in seinem Körper raste die Pein auf Schmerzautobahnen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung hin und her.
Jetzt!
Er streckte die Beine und stieß sich gleichzeitig mit den Händen vom Sims ab. Legte die Arme an. Wollte der Scheibe so wenig wie möglich Widerstand bieten. Auf Anhieb tauchte er bis zur Hüfte ein. Sofort griff er in den wimmelnden, glosenden Schlick und bot seine allerletzten Kraftreserven auf, um sich nach unten zu drücken.
Sein irrer Plan ging auf. Anstatt langsam von der Scheibe aufgesogen zu werden, glitt er hindurch. Es war kein Sumpf. Es war tatsächlich nur eine Scheibe, mit einer Dicke von maximal einem halben Meter. Wenn man den synthetischen Würmern nicht genug Zeit gab, die Materie zu verdauen, fiel sie unten wieder heraus.
Und genau das geschah. Enene hatte das Gefühl, am lebendigen Leibe gehäutet zu werden, aber er schaffte es. Es war, als falle man durch eine Gallertschicht, spürbar, aber nicht stark genug, um einen festzuhalten. Im nächsten Moment befand er sich im freien Fall. Instinktiv streckte er die Hände zu den Seiten hin aus, doch er hatte Glück, dass er keinen der Absätze zu fassen bekam. Die Wucht seines Falls hätte ihm die Finger gebrochen.
Das grüne Licht der Scheibe über ihm entfernte sich schnell. Enene registrierte, dass sein Herz noch schlug. Er registrierte auch, dass er warme Luft atmete. Unter ihm glomm es violett. Das Ende des Tunnels?
Das violette Licht pulsierte, es hüpfte und zuckte wie der Muskel eines riesigen Gottes. Licht durchfloss es wie Blut. Klänge, Gerüche entströmten ihm.
Eine neue Schutzmaßnahme der Schatten? Der nächste, endgültige Versuch, ihn unschädlich zu machen?
Irgendetwas war anders. Er glaubte eine Intelligenz hinter dem violetten Wirbel zu spüren. Etwas, das mit ihm zu kommunizieren begann. Sein erster Gedanke war: Das ist das Gehirn, das die Schatten leitet. Das Nervenzentrum. Aber etwas passte nicht zu dieser Theorie. Das Wesen war ein Gefangener. Er wusste es, als ihre Gedankenwellen sich für einen Moment streiften.
Mit ungebremster Geschwindigkeit raste sein Körper in das Chaos hinein. Plötzlich war seine Welt ein violetter Strudel aus Bildern, Lauten, unverständlicher Sprache, nie gehörter atonaler Musik. Er sah vieles, was er nicht verstand, aber auch Dinge, die er einordnen konnte. Riesige ringförmige Röhren, in denen leuchtende Gase zirkulierten. Geräte, die erstaunlich irdisch wirkten. Er hatte ähnliches schon gesehen. Von diesen Röhren aus zuckten elektrische Blitze wie Arme weg und hielten ein Wesen fest, das möglicherweise farblos war, aber in ihrem Schein violett wirkte. Runde und eckige Energiebahnen hatten sich gebildet, die es abstießen und in ihrem Zentrum hielten.
Es war nackt und hatte eine grob menschliche Form, einen haarlosen Kopf. Man konnte nicht sagen, wie groß es war. Die Perspektiven stimmten nicht. Die Luft verbog sich, wenn das Wesen seine Energien in den Raum jagte, um seine Fesseln zu zerstören. Enene flog genau auf die Gestalt zu. Als er damit kollidierte, gab es eine Explosion. Seine Flugrichtung wurde
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