Falkengrund Nr. 33
sich nicht geirrt hatte, ragte ihr Körper daraus hervor.
Überall sprühten Funken, das Krachen wurde ohrenbetäubend. Jemand fiel dem Käfig hinterher. Enene konnte bei dem Zwielicht und in seiner Verfassung nicht erkennen, ob es sich um Omoba oder um Baduwi handelte.
Rupes Brüllen mischte sich in das metallische Klirren. Die Frau würde sterben. Wenn ihr Körper nicht gegen einen der Absätze knallte, würde sie der Aufprall auf dem Grund des Schachts zermalmen. Er hatte keinen blassen Schimmer, wie tief dieses Loch war. Jedenfalls tief genug, um einem hinabstürzenden Menschen keine Chance zu lassen.
„Sie da oben!“, kam eine sich überschlagende Stimme aus der Tiefe. Sie gehörte Quirinius, wem sonst? „Leben Sie noch?“
„Schätze schon“, antwortete Enene. Er wusste nicht, wohin mit den Schmerzen und ungewöhnlichen Gefühlen in seinem Körper. Am liebsten hätte er nur noch geschrien.
„Da unten ist Licht“, brüllte der Mönch. „Etwas kommt herauf.“ Auch ihm hörte man die Belastung an, der sein Organismus standhalten musste. Und doch schien der Geistliche damit etwas besser zurechtzukommen als er.
Plötzlich fiel Enene der Revolver wieder ein, den er eingesteckt hatte. Mit ungelenken, tapsigen Fingern kramte er ihn aus seiner Tasche hervor, entsicherte ihn. Schob seinen Oberkörper ein wenig nach links, um gut in den Schacht sehen zu können. Richtete die Waffe in die Tiefe. Ignorierte das gefährliche Holpern seines Herzens, das jeden Augenblick aussetzen konnte. Ignorierte die Schatten, die sich rund um das Loch herum bewegten.
Von unten näherte sich tatsächlich etwas. Es war eine grünliche Scheibe. Auf ihrer Oberfläche wimmelten winzige lebendige Lichter durcheinander wie leuchtende Würmer in einer grünen Pfütze. In dem Gewimmel lagen Trümmer, Teile des Käfigs, der – von den Kollisionen mit den Wänden in seine Einzelteile zerlegt – dort unten eingeschlagen war. Es gab dort noch andere, furchtbarere Dinge zu sehen. Die verdrehten Glieder eines schwarzen Mannes, ein verzerrtes, blutüberströmtes Gesicht, das in diesen Sekunden in der schlammigen grünen Masse verschwand.
Es war Baduwis Gesicht gewesen. Es hatte sein Grinsen verloren.
Die Scheibe stieg nur langsam auf. Enene registrierte beiläufig, dass von Rupe nichts zu sehen war. Mit zitternder Hand zielte er auf das grüne Objekt, krümmte den Finger. Ehe er abdrücken konnte, zerfetzte das Knattern eines Schneefeuergewehrs die Stille.
Enene drückte sich eng an die Außenwand. Querschläger sirrten durch den Schacht. Omoba feuerte von oben mit seiner Kalaschnikow blindlings in die Tiefe. Wo die Projektile in die wuselnde grüne Masse eintauchten, passierte gar nichts. Die Kugeln wurden einfach davon verschluckt, so wie Baduwi davon verschluckt worden war. Auch die Gitterstäbe gingen allmählich unter.
Enene ließ den Revolver sinken. Er sah seinen Tod vor sich. Was immer dieses grüne Etwas war, es würde über ihn hinwegschwappen wie ein steigender Wasserspiegel. Er versuchte sich aufzurichten. Nur mühsam gelang es ihm, sich aufzusetzen und mit dem Rücken gegen die Wand zu lehnen. Er hatte Ohrensausen, und seine Lunge rasselte. Sein Körper hörte auf allen Fronten gleichzeitig auf zu funktionieren. Nichts lief mehr rund.
Schwerfällig schleppte er sich ein paar Meter auf dem Sims nach oben. Der grüne Tod stieg langsam auf, unendlich langsam, und doch zu schnell.
„Sie da oben!“, erklang wieder die Stimme des Mönchs unter ihm auf. Ihn musste die Scheibe bald erreicht haben. „Sie wollten doch sehen, was unter meiner Kutte ist!“
Ein Wunder , dachte Enene beinahe belustigt. Bitte hab ein Wunder unter deiner Kutte. Das ist das einzige, was uns jetzt noch retten kann. Rasende Kopfschmerzen fraßen sich ihren Weg durch seinen Schädel. Trotzdem schaffte er es, nach unten zu sehen. Im grünen Licht der Scheibe war die Gestalt gut zu erkennen. Bruder Quirinius stand nur zwei Umdrehungen der Spirale tiefer, etwa fünf Meter unter ihm. Er schien zum Greifen nahe, sein eingefallenes Gesicht leuchtete grün wie das eines besonders geschmacklosen Geisterbahn-Ungeheuers.
Jetzt löste der Mönch mit seinen dünnen Fingern die Kordel, die sein Gewand verschloss. Im nächsten Moment flog der dunkle Stoff von ihm weg und schwebte in die Tiefe, verdunkelte für einige Sekunden die Lichtquelle, ehe er dort aufkam und sofort von der wimmelnden Masse aufgesogen wurde.
Enene traute seinen Augen nicht. Der hagere
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