Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
Vom Netzwerk:
Mönch war vom Hals bis zu den Füßen hinab behangen, und zwar mit religiösen und magischen Symbolen aller Art. Es gab christliche Kruzifixe in allen Ausformungen, Gemmen und andere Amulette und Talismane, Fetische und Totemzeichen, Knochen und Schrumpfköpfe, winzige verzierte Behälter, in denen ohne Zweifel magische Pülverchen oder Reliquien aufbewahrt wurden.
    „Sie müssen wissen: Ich war schon einmal hier“, erklärte der Bruder und sah der emporsteigenden Scheibe konzentriert entgegen. Seine Stimme klang jetzt fester. „Auch ich gehöre zu den Opfern der Schatten. Ich kenne diesen Ort, nein, nicht diesen Schacht – den gab es damals noch nicht –, aber die Welt an der Oberfläche. Als es zur Explosion kam, konnte ich fliehen. Ich suchte Trost in der Kirche, aber ich wusste, dass ich eines Tages hierher zurückkehren würde.“ Er machte eine kurze Pause. Die Scheibe war noch drei, vier Meter von ihm entfernt. „Das Böse muss vernichtet werden. Ich gestehe, ich bin nicht so fest im Glauben wie manche andere. Aber eine der Lehren muss recht haben. Eine dieser Waffen wird obsiegen.“
    Obsiegen. Was für ein schönes Wort!
    Enene schüttelte den Kopf. Das Denken fiel ihm schwer. „Wenn Sie diesen Ort hier kennen, warum haben Sie mich dann nicht gleich selbst hergeführt? Warum musste erst einer der Dorfleute mir die Koordinaten in Rupes Käfig legen?“
    „Das war niemand aus dem Dorf. Ich habe den Zettel selbst geschrieben und in den Käfig geworfen.“
    „Was?“ Enene starrte den Mann verständnislos an. „Sie haben mich unnötig in Gefahr gebracht? Warum haben Sie mir die Koordinaten nicht einfach in die Hand gedrückt?“
    „Weil ich Ihre Entschlossenheit testen wollte. Ich wünschte mir einen mutigen Helfer. Leider hat Ihr Schneid Sie verlassen, seit wir hier sind – aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. In wenigen Sekunden werde ich in die Tiefe springen, und irgendetwas von dem, was ich bei mir trage, wird das Böse vernichten. Mit dieser Ausrüstung würde ich einen Spaziergang durch jede Hölle dieser Welt wagen.“
    Er hatte es ja gewusst: Der Klosterbruder war übergeschnappt. Jetzt begriff er wenigstens, dass dieses abgehärmte Äußere von der Gefangenschaft bei den Schatten herrühren musste. Was hatten sie mit ihm angestellt? Enene kämpfte mit seiner Atmung. Ein brennender Schmerz in seiner Brust kündigte einen Herzinfarkt an. Es war ihm, als werde sein Blut nur träge und dickflüssig durch seine Adern gepumpt.
    Durch einen Schleier aus Tränen sah er, wie Bruder Quirinius bis an den Rand des Absatzes ging … und dann sprang.
    Die magischen Mittel und religiösen Zeichen wallten auf, als er hinabfiel, und bildeten für einen Augenblick einen wunderschönen Kranz um seinen Kopf wie einen Heiligenschein. Dann kam er auf der lebendigen grünen Scheibe auf. Die Wucht des Sprunges aus zwei Metern Höhe ließ den Mönch straucheln. Er fiel nach vorne, klatschte mit den Händen auf den morastartigen Untergrund.
    Enene ahnte, was jetzt kommen würde. Er konnte zusehen, wie der Leib des Bruders langsam von der wimmelnden Oberfläche verschluckt wurde. Zunächst ertrug Quirinius sein Schicksal mit Zuversicht, drehte den Kopf und präsentierte ein siegessicheres Lächeln. Doch als sein Gesicht in den künstlichen Sumpf eintauchte, begann er zu schreien. Zu spät. Luftblasen bildeten sich auf der leuchtenden Scheibe. Enene wandte den Blick ab.
    Die Schatten kreisten weiter um ihn, hinter der halbtransparenten Wand sichtbar, nur durch wenige Zentimeter des Metalls von ihm getrennt. Mit tränenverschleierten Augen betrachtete er sie, versuchte zu begreifen, was sie waren, was sie wollten. Ihm war klar, dass sie kein Interesse hatten, ihn für ihre Manipulationen einzusetzen. Das Material dafür suchten sie selbst aus. Er war ein Eindringling – er musste vernichtet werden. Wenn es die tödliche Aura nicht vollbrachte, die die Schatten umgab, würde es die grüne Scheibe tun. Noch eine Minute, und er würde darin versinken wie Bruder Quirinius.
    Die Hitze in seiner Brust wurde unerträglich, presste die Luft aus seinen Lungen, badete ihn in klebrigem Schweiß. Ächzend drehte er sich auf alle Viere, krabbelte einen Meter, noch einen. „Omoba“, krächzte er. „Hol mich hier heraus!“ Seine Stimme war nur ein Hauch, und Omoba tauchte nicht auf. Er war wohl intelligent genug gewesen, die Flucht zu ergreifen. Enene wünschte ihm alles Gute für den Weg aus dem Schacht und durch die

Weitere Kostenlose Bücher