Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 8 Exquisite Corpse

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 8 Exquisite Corpse

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 8 Exquisite Corpse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
Vom Netzwerk:
der plötzlich den Schmerz verspürt. Es gibt keinen Kausalzusammenhang. Nach derselben Auffassung hat das zweite Wort im cadavre exquis nichts mit dem ersten zu tun, das dritte nichts mit dem zweiten, und so weiter. Der Zufall regiert. Falls aber die Gruppe, die das Spiel spielt, eine gemeinsame Persönlichkeit hätte, dann sähe es anders aus. Verstehst du? Diese gemeinsame Persönlichkeit der Gruppe ist etwas Ähnliches wie die Magie. Die Magie verbindet Dinge zu einem Ganzen, die nicht kausal verknüpft sind. Es ist wie ein ungreifbarer Duft, als ob die Dinge neben ihrer Körperlichkeit noch ein zweites Wesen hätten.“
    Melanie war verwirrt. Nach dieser Erklärung wusste sie noch immer nicht, was Madoka mit dem Begriff hatte ausdrücken wollen.
    „Hast du nicht manchmal schon das Gefühl gehabt, dass scheinbar zusammenhanglose Dinge zusammenspielen, um etwas zu einer Einheit zu bringen? Als ob das Schicksal die verrücktesten Kapriolen schlägt, um einen runden, perfekten Abschluss für eine Sache zu finden? Manche Menschen sehen nur die einzelnen Teile. Andere versuchen das Ganze zu erkennen. Das komplette cadravre exquis -Gedicht und die Wahrheit dahinter. Das sind die Magier. Die Wissenschaft ist wie die Interaktion einer Gruppe – die Magie ist ihre Persönlichkeit.“
    Melanie dachte lange über Margaretes Ausführungen nach. War es tatsächlich Madoka, die die größeren Zusammenhänge sah? Waren alle anderen unwissend, ihre Gedanken oberflächlich, ihre Taten sinnlos?
    Was bedeutete das? Was führte die Japanerin im Schilde?
    Und wie sah das Gesamtbild aus, das sie sehen konnte, das aber den anderen verborgen blieb?

10
    Langsam kroch Estrella unter der Bettdecke hervor. Ihre braune Haut schimmerte im Licht der Deckenlampe. Es machte ihr nichts aus, wenn das Licht jeden Zentimeter ihres Körpers ausleuchtete, während Charlie sie vernaschte. Sie fühlte sich gut, wenn sie zu sehen war. Sie lebte für das gierige Funkeln in seinen Augen – vielleicht weil es wie eine Erlaubnis für sie war, ebenfalls gierig zu sein, auf ihre Weise.
    Als die Hüfte der Schönen über den Fleck glitt, wo der kalte Kaffee eingesickert war, zuckte sie zurück. Sie rieb die feuchte Stelle an ihrem Po, bis sie trocken war. Ihr erster Gedanke war es gewesen, sich anzuziehen. Das Auftauchen ihrer Mutter hatte ihrer Lustkurve einen empfindlichen Knick verpasst. Doch dann fiel ihr ein, dass Charlie sicher damit rechnen und traurig darüber sein würde. Und wie er sich wohl freute, wenn seine kleine Estrella ihn bei seiner Rückkehr genau so erwartete, wie er sie zurückgelassen hatte.
    An der dem Bett gegenüberliegenden Wand befand sich eine Bar. Die junge Frau, die vom Kaffee genug hatte, stellte sich, nackt, wie sie war, an die schmale Theke und goss sich einen Drink mit Wodka und Orangensaft ein. Zunächst war es wenig Wodka und viel Saft gewesen, doch dann gefiel ihr das Verhältnis nicht, und sie füllte das Glas mit Wodka auf, bis das Getränk so richtig in ihrem Hals brannte.
    Sie nahm einen tiefen Schluck. Am Rollladen kratzte etwas. Ein Vogel vielleicht. Möglicherweise auch ein Mensch – das Zimmer lag im Erdgeschoss. Sie stellte den Drink ab und lauschte. Unwillkürlich bedeckte sie ihre Brust mit dem Arm.
    Das Geräusch wiederholte sich, lauter. Aus dem Kratzen wurde ein hartes Schlagen, dann riss jemand von außen an der Jalousie!
    Estrella schlich zur Tür, verließ den Raum jedoch nicht, sondern knipste das Licht aus. Das Geräusch war für einen Moment verstummt. Sie lauschte.
    Aus dem Gästezimmer im ersten Stock klangen die lauten Rhythmen der Stereoanlage. Estrella begriff schlagartig, dass Charlie und ihre Mutter die Geräusche nicht hören konnten. Mehr noch: Sie würden es nicht einmal mitbekommen, wenn sie laut um Hilfe rief!
    In diesem Moment gab es einen gewaltigen Knall. Die Fensterscheibe zersplitterte, ein Teil der Kunststoffjalousie war geborsten und wölbte sich durch das zerstörte Fenster ins Innere.
    Das Mädchen erstarrte vor Grauen. Ein knöcherner Arm ragte ins Zimmer, an ihm hing ein grotesker Körper, ein Mann, dem das Fleisch brockenweise vom Leib fiel, während sie zusah! Genaues konnte sie nicht erkennen, denn draußen war die Dämmerung schon fortgeschritten, und nur das Licht einer nahen Straßenlaterne schälte die schaurige Szene aus der Finsternis.
    Das Monstrum bahnte sich einen Weg herein, und wenn sie sich nicht täuschte, verlor es dabei das restliche Fleisch fast vollständig.

Weitere Kostenlose Bücher