Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
gefährlichen Situation die Neugier der Nachbarschaft und das Interesse der Herrschaften von den umliegenden Gütern zu erwecken, hätte fatale Folgen haben können.
»Stell dir vor, das Landvolk läuft draußen zusammen und ständig treffen Kutschen von den anderen Landgütern ein«, malte Heinrich Heller seinem Neffen aus, als sie über die zu treffenden Vorkehrungen sprachen. »Wie leicht kann da einer unserer Aufmerksamkeit entgehen und in einem unbeobachteten Moment bei uns eindringen. Nein, keine Ballonaufstiege mehr, so schwer es mir auch fällt – und dir gewiss auch, Tobias! Aber wir müssen vernünftig sein. Mit Zeppenfeld ist nicht zu spaßen. Das wissen wir jetzt.«
Tobias konnte das ganz gut verschmerzen und fand den nächtlichen Wachdienst nicht der Rede wert, auch wenn der April seinem Ruf als wechselhafter Geselle alle Ehre machte und ihnen in so mancher Nacht ungemütliches regnerisches Wetter bescherte. Was ihn viel härter traf, war das strikte Verbot seines Onkels, Falkenhof allein zu verlassen.
»Keine Ausritte mehr ohne Begleitung!«, bestimmte er. »Und ich wünsche darüber auch keine Diskussion. Einmal ist es gut gegangen. Beim nächsten Mal wird dir Zeppenfeld keine Gelegenheit zur Flucht geben.«
Voller Ungeduld wartete Tobias deshalb darauf, dass etwas passierte. Insgeheim hoffte er, Zeppenfeld möge schon bald etwas unternehmen, damit er und Sadik mit ihm abrechnen konnten. Er zweifelte nicht daran, dass sie bei allen ihren Vorsichtsmaßnahmen seinen Plan durchschauen würden.
Doch es geschah nichts. Ein Tag nach dem anderen verging, ohne dass sich auch nur eine verdächtige Gestalt in Sichtweite von Falkenhof zeigte. Und die Nächte waren genauso ereignislos. Bis auf den Vorfall mit der Eule, die sich einmal in den Hof verirrt und im Rundgang des Osttores mit ihren Flügeln geschlagen hatte. Das Geräusch hätte Tobias beinahe veranlasst, alle auf dem Gut mit einem gellenden Alarmschrei aus den Betten zu reißen.
Zeppenfeld und seine Komplizen schienen wie vom Erdboden verschluckt. Auch vom Wirt in Marienborn traf keine Nachricht ein, dass irgendein Fremder gesehen worden wäre. Ereignislos gingen Tage und Nächte ineinander über.
»Täusch dich nicht«, sagte Sadik einmal zu Tobias, als dieser enttäuscht die Vermutung aussprach, Zeppenfeld hätte wohl doch aufgegeben. »Es ist die Ruhe vor dem Sturm und sie gefällt mir gar nicht.«
»Was soll er denn schon groß noch aushecken können?«, wandte Tobias ein. »Er weiß, was ihm blüht, wenn er uns noch einmal in die Quere gerät.«
»Würde sich der Wolf vor der Schildkröte fürchten, so hätte ihn Allah mit einem Pelz aus Sackleinen ausgestattet«, warnte Sadik ihn. »Und Zeppenfeld ist ein Wolf.«
»Pah! Zeppenfeld ist ein feiger Hund!«
Sein Onkel schien zu einer ähnlichen Überzeugung gelangt zu sein, denn er ließ sich nicht davon abhalten, mehrmals nach Mainz zu fahren.
Als sich Tobias in der zweiten Woche darüber beschwerte, dass er Falkenhof nicht verlassen dürfe, während sein Onkel sich keine derartigen Beschränkungen auferlegte, sagte der zu ihm: »Das ist auch etwas völlig anderes, mein Junge. Ich kann mich nicht auf Falkenhof einigeln. Ich werde jetzt in Mainz dringend gebraucht. Der Winter war lang und es liegt eine Menge Arbeit vor uns. Außerdem wird sich Zeppenfeld nicht an uns heranwagen«, fügte Heinrich Heller hinzu. »Sadik hat eine Flinte unter den Decken auf dem Kutschbock liegen und ich habe die Schrotflinte griffbereit. Wir sind also bestens gerüstet. Soll sich Zeppenfeld nur zeigen! Sadik brennt darauf, ihm zu begegnen. Aber diesen Gefallen wird er ihm nicht tun. Es würde ihm auch nichts bringen. Der Spazierstock ist auf Falkenhof. Und wenn er etwas unternimmt, dann wird es dort passieren.«
An den Tagen, wenn Heinrich Heller mit Sadik mittags nach Mainz fuhr, händigte er seinem Neffen die Pistole aus, mit der Tobias von seinem Vater das Schießen gelernt hatte, und vertraute Jakob eine zweite Schrotflinte an, die er von seiner ersten Fahrt nach Zeppenfelds gescheitertem Versuch der Geiselnahme mitgebracht hatte.
An diesen langen Nachmittagen verbrachte Tobias die Zeit damit, das freie, gut einsehbare Gelände um das Gut herum zu beobachten, das Florett umgeschnallt und die Pistole im Gürtel. Er kam sich dann wie ein Pirat oder ein Ritter vor, der den feindlichen Angriff erwartete – und mit einer Mischung aus Bangen und grimmiger Erwartung stellte er sich vor, wie er Zeppenfelds
Weitere Kostenlose Bücher