Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
Luke zu, jedoch nicht ganz, und rüttelte mit der rechten Hand am Balken, während er durch den Spalt nach draußen spähte. Seine Ahnung hatte ihn nicht getrogen. Er sah, wie Zeppenfeld seinen Männer ein Zeichen gab, und schattenhafte Gestalten huschten hinter den Bäumen entlang. Auch Zeppenfeld beschleunigte nun seine Schritte.
Heinrich Heller wartete noch ein, zwei Sekunden. Dann zog er die Luke rasch ganz zu, schob den Riegel vor und hob den Spazierstock.
Darauf hatten Klemens und Jakob gewartet. Mit aller Kraft riss Jakob die Flügel des Osttores auf. Mit nur einer winzigen Verzögerung ließ Klemens die Peitsche über Astors Kopf knallen und klatschte ihm die Zügel auf den Rücken, sodass er aus dem Stand nach vorn sprang und losgaloppierte.
Jakob presste sich neben der Flügeltür an die Wand.
Die Kutsche raste an ihm vorbei ins Freie, den Feldweg hinunter, der in Richtung Finthen führte, und Klemens hörte nicht auf, die Peitsche knallen zu lassen. In das scharfe Knallen mischten sich die Alarmrufe der Gendarmen auf der Ostseite, Flüche, die vom Westtor ertönten, und dann Hufschlag.
Heinrich Heller stürzte aus dem Durchgang des Westtores. Er blickte zu Jakob hinüber, der das Tor rasch wieder geschlossen hatte und durch die Luke der dahin jagenden Kutsche nachschaute. Seine hoch erhobene Hand galt Tobias.
Noch nicht! Noch einen Augenblick! hieß das Zeichen.
Tobias hielt sich mit der linken Hand an einem der Gondelseile fest, während die rechte das Messer umklammert hielt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Sein Herz raste und er spürte ein entsetzliches Zittern in den Beinen. Ein Muskel zuckte nervös über seinem rechten Augenlid. Gleich würde die Hand seines Onkels fallen, ein kurzer Schnitt – und der Ballon würde aufsteigen, von keinem Seil gehalten!
Dies war kein Fesselaufstieg!
Das war ein Aufstieg – ja, wohin? Abenteuern und Gefahren entgegen, die er sich noch gar nicht vorzustellen vermochte? Was war, wenn …? Die Hand seines Onkels fiel. Jetzt!!!
Nächtliche Sturmfahrt
Tobias reagierte wie eine Maschine. Die scharfe Schneide der Klinge setzte auf dem Seil auf, er drückte das Messer hinunter und zog es zugleich mit aller Kraft nach unten.
Es schnitt durch das dicke Tau, als glitte es durch Butter und nicht durch feste Seilstränge. Ein Bersten wie splitterndes Holz. Ein scharfer Knall. Wie Peitschen schlugen die beiden Seilenden zu beiden Seiten des Podestes auf den Hof.
Ein jäher Ruck schleuderte Tobias nach hinten. Der Ballon schien fast in den Nachthimmel zu schießen. Und sofort wurde er vom Wind erfasst und nach Osten getragen, kaum dass er auch nur halb aus dem Geviert heraus war.
Tobias stieß einen unterdrückten Schrei aus, als das Dach des Ostflügels auf ihn zuraste. Im nächsten Moment musste die Kollision erfolgen. Die Gondel würde die Dachziegel wie ein Geschoss durchschlagen, in berstenden Balken hängen bleiben, und die unbändige Kraft der riesigen Gaskugel über ihm würde den halben Dachstuhl einreißen.
Doch der Auftrieb war stärker als die Abdrift. Die Gondel fegte haarscharf über den First hinweg. Und dann waren sie frei vom Geviert. Falkenhof lag unter ihnen.
Tobias schob das Messer mit zitternder Hand in die Scheide und sah, wie Klemens die Kutsche im wilden Galopp über den Feldweg jagte. Er wurde von vier Reitern verfolgt. Doch da sie sich von den Seiten näherten und über den schweren Ackerboden mussten, hatten sie ihn noch nicht erreicht. Auf der anderen Seite von Falkenhof liefen mehrere Gestalten um die Ecke. Das mussten Zeppenfeld und seine Männer sein. Und sie waren es, die den Ballon zuerst entdeckten.
Er hörte ihre aufgeregten Schreie. Der Wind wehte ihre Stimmen zu ihm hoch. Deutlich konnte er die von Zeppenfeld heraushören. Und dann flammten dünne Feuerlanzen unter ihm auf, wie winzige Blitze zuckten sie zu ihm hoch, begleitet von scharfem Krachen.
Sie schossen auf ihn!
Tobias sprang von der Gondelbrüstung zurück und kauerte sich neben Sadik. Ihr Schicksal würde sich in diesen wenigen Augenblicken entscheiden. Der Ballon gewann so schnell an Höhe wie bei keinem der Fesselaufstiege. Doch eine Spanne von zehn, zwanzig kritischen Sekunden blieb noch, vielleicht sogar einer Minute. Und das war eine entsetzlich lange Zeit, wenn auf einen gefeuert wurde. Noch konnte man sie mit ein paar glücklichen Treffern zum Absturz bringen.
War das eine Kugel, die unter ihm vorbeisirrte? Oder war es der Wind, der in den
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