Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
ganze Dauer der Ballonfahrt.«
»Das wünsche ich euch beiden von Herzen, mein Junge. So, und jetzt müssen wir uns wirklich beeilen. Klemens, bist du bereit?«
Der Stumme nickte. Er hatte Astor vor die Kutsche gespannt, die schon auf das Osttor ausgerichtet war.
»Auch das Schreiben an den Doktor in Finthen?«
Der Knecht nickte erneut und schlug sich mit der flachen Hand vor die Brust, wo der Brief an den Arzt in der Jackentasche steckte.
»Gut. Du bist losgeschickt worden, weil ich einen Arzt brauche. Sonst weißt du gar nichts«, erinnerte ihn Heinrich Heller noch einmal. »Spiel die Rolle des einfältigen Trottels, Klemens. Die Kerle haben nichts anderes verdient.«
Klemens verzog das Gesicht zu einem breiten, fröhlichen Grinsen. Die Leute außerhalb von Falkenhof hatten ihn immer für einen harmlosen Trottel gehalten, nur weil er verwachsen und stumm war. Das kam ihm jetzt zugute.
»Ich weiß, du wirst deine Sache schon gut machen. Dir wird keiner etwas anhängen«, sagte Heinrich Heller zuversichtlich.
Tobias hatte indessen die Riemen geöffnet, mit denen Sadik sein Bündel hinter den Sattel geschnallt hatte, und es in die Gondel gelegt.
Sein Onkel drückte ihm zwei Lederbeutel in die Hand. »Pass gut darauf auf! Damit kommt ihr zehnmal bis nach Paris. Kauft euch zwei gute Pferde oder reist mit der Kutsche. Doch umgeht die Grenzstationen. Sadik versteht sich auf so etwas.«
Tobias steckte die Beutel ein. »Onkel …« Er wusste nicht, was er im Augenblick des Abschieds sagen sollte. Tränen standen ihm in den Augen. Falkenhof war sein Zuhause gewesen und Onkel Heinrich ihm wie ein Vater. Ihn hier zurückzulassen und zu wissen, dass ihm der Kerker gewiss war, erschien ihm wie Verrat an dem Mann, dem er so unendlich viel verdankte – Wärme, Geborgenheit, Wissen und Selbstvertrauen.
»Warum kommst du nicht doch mit, Onkel? Der Ballon trägt uns drei mit Leichtigkeit, und du kannst doch von Paris aus versuchen …«
Heinrich Heller legte ihm die Hand auf den Arm. »Lass es gut sein, Tobias. Mein Entschluss ist wohl überlegt. Glaube mir, wenn ich dir sage, dass ich nicht aus falschem Stolz oder einer Art Märtyrertum hier bleibe. Mir stehen schwere Zeiten bevor, gewiss. Aber wenn ich mir nicht sicher wäre, für meine Freunde und mich eine glimpfliche Strafe erwirken zu können, würde ich nicht zögern, euch zu begleiten. Ich bereue nichts, und es besteht auch für dich kein Grund, den Kopf hängen zu lassen. Wir haben jetzt alle eine Zeit der Prüfungen vor uns, und ich bin sicher, dass wir sie gestärkt überstehen werden. Habe Vertrauen in mich, wie ich es in dich habe! Und nun lass uns Lebewohl sagen, mein Junge, und den Abschied kurz machen!«
Tobias schämte sich seiner Tränen nicht, als er seinen Onkel umarmte.
»Sieh zu, dass du in die Gondel kommst!«, sagte Heinrich Heller dann und schob ihn zurück. »Aber warte mit dem Durchtrennen des Seils, bis ich Zeppenfeld herangelockt habe und Klemens die Aufmerksamkeit der Wachen auf sich gezogen hat.«
Tobias nickte, wischte sich die Tränen aus den Augen und stieg in die Gondel. Jakob hatte Sadik schon hineingewuchtet. Der Araber hockte in der Ecke und lehnte mit dem Kopf an dem festen Geflecht, als wäre er nur mal kurz eingenickt. Er war eingekeilt von der Weidentruhe und vom Proviantsack, den Agnes angeschleppt hatte und dessen Inhalt wohl Marschverpflegung bis nach Paris sein sollte. Obendrauf lag Sadiks Bündel.
Jakob schob schnell eine Schrotflinte und einen Beutel mit Munition über den Rand zu Tobias in die Gondel. »Nichts gegen Ihre Fechtkünste, junger Herr, aber Lumpenpack rottet sich gern zusammen, und dann ist mit einer Ladung Schrot mehr und schneller geholfen als mit einer einzigen Klinge.«
»Danke, Jakob.« Er drückte ihm die Hand. »In vier Wochen in Speyer oder spätestens in sechs im Gasthof Zur Goldenen Gans!«
»Ich werde da sein. Sie haben mein Wort drauf!«, versicherte der Knecht und ging zum Westtor, wo Heinrich Heller schon auf ihn wartete.
Tobias zog sein Messer. Der Ballon wurde von einem dicken Seil gehalten, das quer über die Gondel lief und an den beiden Seilwinden vertäut war. Das Gewicht der schweren Winden vermochte den Falken kaum noch zu bändigen, so prall gefüllt war er. Das Seil ächzte hörbar unter dem enormen Druck, den der nach oben drängende Ballon ausübte.
Tobias vermutete, dass er das Seil mit der Klinge bloß anzuritzen brauchte, um es zum Reißen zu bringen. Deshalb verharrte seine
Weitere Kostenlose Bücher