Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
war. Dass Tobias so viel vom guten Essen zurückgehen ließ, hätte er sonst nicht ohne Tadel gelassen. Und er hatte diesmal auch keine Ruhe, sich nach der Mahlzeit noch ein Gläschen Port zu gönnen, wie er es sonst stets tat, wenn er irgendwo einkehrte. Er hatte es eilig, die Zeche zu bezahlen und nach Falkenhof zurückzukehren.
Als sie wieder auf der Großen Bleiche waren, begab er sich aber erst zielstrebigen Schrittes zur Buchhandlung von Florian Kupferberg. »Sieh dich nur um und sag mir, wenn du etwas findest, was dich zu lesen interessiert«, sagte er zu Tobias, als der Besitzer des Geschäfts bei ihrem Eintreten augenblicklich hinter seinem Schreibpult hervortrat. Er war ein kräftiger Mann um die vierzig mit einer hohen Stirn und buschigen Brauen. Er trug schwarze Ärmelschoner über seinem weißen Hemd und eine wollene Weste, die Staubflecken aufwies. Außer ihnen dreien hielt sich niemand sonst in der Buchhandlung auf.
Tobias nickte. »Ich werd mal schauen …«
»Professor Heller! Schlechte Nachrichten! Einen Moment!«, stieß Florian Kupferberg mit aufgeregter, aber gedämpfter Stimme hervor, eilte zur Tür und verriegelte sie.
Tobias ahnte, dass sein Onkel nicht gekommen war, um sich nach Büchern umzusehen. Der Buchhändler hatte seinen Onkel schon mehrfach auf Falkenhof aufgesucht, zusammen mit einigen anderen Männern, von denen Tobias wusste, dass auch sie Mitglieder des Geheimbundes Schwarz, Rot, Gold waren. Erst seit knapp einem Jahr wusste er von den illegalen Aktivitäten seines Onkels. Zufällig hatte er ein Gespräch zwischen ihm und seinem Vater belauscht, in dem dieser seinem Bruder ans Herz gelegt hatte, seine verbotene politische Betätigung für eine Deutsche Nation und mehr Freiheitsrechte doch tunlichst aufzugeben. Später hatte er seinem Onkel gestanden, Zeuge dieser Unterhaltung geworden zu sein, und Heinrich Heller hatte ihm von dem Geheimbund gleich gesinnter Männer erzählt und ihren Zielen – jedoch ohne Namen zu nennen und nachdem er ihm sein Ehrenwort abgenommen hatte, zu niemandem ein Wort darüber zu verlieren.
Er nahm wahllos eine Broschüre auf, die den ellenlangen Titel trug Skizze der bis jetzt bekannten Lebensmomente des ehrwürdigen Findlings Kaspar Hauser in Nürnberg – Mit einer naturgetreuen Abbildung desselben und die 24 Kreuzer kosten sollte. Doch in Wirklichkeit spitzte er die Ohren, um etwas von dem Gespräch seines Onkels mit dem Buchhändler mitzubekommen.
»Nikolai Grebert war vorhin bei mir, Herr Professor! Stellen Sie sich vor: Der junge Riebel ist verhaftet worden! Pizalla hat ihn abgeholt! Heut Vormittag!«, raunte Florian Kupferberg abgehackt, während er mit seinem Onkel vor einem Buchregal stand und vorgab, eine zwölfbändige Ausgabe von Shakespeares Werken neu einzuordnen.
»Ich weiß«, erwiderte sein Onkel ruhig.
»Sie haben es schon gehört?«
»Nein, gesehen.«
Der Buchhändler sog die Luft hörbar ein. »Himmel, Sie waren zugegen?«
»Sozusagen.«
»Mein Gott, erzählen Sie!«
»Was gibt es da groß zu erzählen? Pizalla hatte seinen großen Auftritt und genoss ihn sichtlich. Ich schätze, er fühlte sich gleich einen Absatz größer«, lautete die bissige Antwort.
»Und Riebel?«
Tobias sah aus den Augenwinkeln, wie sein Onkel den Mund zu einem halb spöttischen, halb mitleidigen Lächeln verzog. »Er hielt sich glänzend, wie man es von einem Schwärmer wie ihm auch nicht anders erwarten konnte. Hoch erhobenen Hauptes hat er sich zur Kutsche eskortieren lassen, stolz und mit gestrafften Schultern. Ein König hätte auch nicht würdiger zum Schafott gehen können. Nur wird es für ihn keine Gelegenheit geben, zum bewunderten Märtyrer zu werden.«
»Sie gehen mit dem armen Riebel aber arg ins Gericht, Professor«, flüsterte Florian Kupferberg.
»Leider muss ich das tun. Ein ehrenwerter Mann, dieser Melchior Riebel, und seine Gesinnung ist über jeden Zweifel erhaben. Ein freier Geist mit dem rechten Ziel im Auge. Aber dies allein reicht in solch schweren Zeiten einfach nicht. Man muss nicht nur das angestrebte Ziel im Auge behalten, sondern auch die Wege, die einen dahinführen können – ohne dass man auf halbem Weg plötzlich vor einem unüberwindbaren Abgrund steht oder gar in diesen stürzt, wie ihm jetzt geschehen«, bemerkte Heinrich Heller nüchtern. »Von so genannten Helden, die sich blindlings in die Gefahr stürzen und die große Geste mit der großen Tat verwechseln, habe ich nie viel gehalten. Jemand, der
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