Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
das Schicksal Jana nach Falkenhof geführt hat«, bemerkte Sadik mit bedeutungsschwerer Stimme. »Es ist Allahs Wille, dass das unheilvolle Fluggerät am Boden bleibt.«
»Unheilvoll ist einzig und allein dein pessimistisches Geunke!«, beschied ihn Tobias.
Sadik zuckte mit den Schultern. »Der Weg, den ihr einschlagt, ist ein gefährlicher Irrweg. Wie jener Weg, auf den der Nomade sein Kamel führte und vor dem Scheich Saadi von Schiras ihn vergeblich mit den Worten warnte: ›Ich fürchte, Mekka wirst du nicht erreichen, denn deine Straße führt nach Turkestan!‹«
Tobias verdrehte die Augen, doch sein Onkel entgegnete ihm darauf fast heiter: »Mein lieber Sadik, es gibt auch noch eine andere Weisheit, die da lautet: ›Unermessliche Reichtümer liegen tief im Meer verborgen, Sicherheit findest du nur am Ufer.‹ Auch diese Worte stammen von Scheich Saadi.«
Sadik seufzte darauf und schwieg.
»Aber solange Jana noch nicht aus dem Bett kann, hindert uns doch nichts daran, schon einige Ballonaufstiege zu unternehmen, Onkel«, schlug Tobias nun vor.
»Ja, das ist richtig. Es fragt sich nur, ob wir so schnell mit dem Startplatz fertig sind. Und noch hat der Mechanikus die Flaschenzüge und Seilwinden nicht gebracht. Aber die drei Tage, von denen er gesprochen hat, sind ja auch noch nicht verstrichen. Nun, wir werden abwarten und uns entscheiden, wenn alle Vorbereitungen getroffen sind. Das Wetter wird zudem ein gutes Wörtchen bei unserem Vorhaben mitreden. Hoffen wir also, dass der Winter nun endlich hinter uns liegt und es auch weiterhin so mild bleibt.«
Mit dieser Antwort war Tobias zufrieden, und Heinrich Heller lenkte das Tischgespräch geschickt auf ein weniger kontroverses Thema in ihrer Runde, nämlich auf die Hochkultur der Ägypter und ihre unvergleichliche Heilkunst, ein Thema, zu dem Sadik viel zu erzählen hatte, sodass ihr Abendessen doch noch ein harmonisches Ende fand.
Danach trieb sich Tobias immer wieder in der Nähe von Janas Zimmer herum, in der Hoffnung, noch eine Gelegenheit zu einem Gespräch unter vier Augen mit ihr zu finden. Er brannte darauf, sich von ihr die Karten legen zu lassen.
Doch seine Hoffnung erfüllte sich nicht. Denn als sich Sadik endlich in sein Zimmer begab und Tobias zu ihr schlich, fand er sie schon in tiefem Schlaf. Einen Augenblick stand er unschlüssig an ihrem Bett. Dann stellte er das Kästchen mit ihren Tarotkarten auf die Kante der Kommode, sodass es in ihrer Reichweite stand, und so leise, wie er gekommen war, verließ er das Zimmer wieder.
Jana war so völlig anders als die Mädchen, die er vom Kirchgang und von den wenigen Gelegenheiten, bei denen er mit Gleichaltrigen zusammentraf, her kannte. Und ob nun Zigeunerin oder nicht – irgendwie mochte er sie!
Elf Tarotkarten
Ein berittener Bote galoppierte am Morgen des folgenden Tages die Ulmenallee zum Falkenhof hoch. Das Schreiben, das der rotblonde Bursche aus Mainz brachte, war vom Buchhändler Florian Kupferberg aus der Großen Bleiche.
Heinrich Heller, dem Lisette das versiegelte Schreiben an den Frühstückstisch brachte, überflog die wenigen Zeilen und nickte zufrieden.
»Wir werden nach dem Mittag nach Mainz fahren, Sadik«, teilte er ihm mit, knüllte die Nachricht zusammen und warf das Papier ins knisternde Kaminfeuer. Und zu Lisette, die abwartend in der Tür stand, weil der Bote eine Antwort mit nach Mainz zurückbringen sollte, sagte er: »Ich werde zur angegebenen Zeit da sein. Sag ihm, dass er das ausrichten soll.«
»Sehr wohl, Herr Professor.«
Niemand sprach am Tisch davon, doch Sadik und Tobias wussten, was der Bote und das Schreiben zu besagen hatten: Die Mitglieder des Geheimbundes würden sich an diesem Tag zu einem ihrer unregelmäßigen Treffen zusammenfinden. An solchen Tagen war Tobias jedes Mal froh, wenn er die Kutsche seines Onkels kurz vor Einbruch der Dunkelheit die Allee heraufrattern hörte. Auch wenn sein Onkel ihm mehr als ein Mal versichert hatte, dass kein Grund zur Besorgnis bestand, weil sie angeblich jedes Risiko vermieden und mit größter Umsicht vorgingen – voller Unruhe war er in den langen Stunden doch.
Die Versammlungen des Geheimbundes fanden grundsätzlich am helllichten Tag statt. »Nur Dilettanten und romantische Schwärmer treffen sich zu nächtlicher Stunde an geheimen Orten«, hatte sich sein Onkel einmal geäußert. »Nächtliches Kommen und Gehen vermummter Gestalten, die gar noch das Licht scheuen, muss stets den Argwohn von
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