Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
Wahrsagung halten und ob er sie ernst nehmen sollte. Gab es das wirklich, dass Karten etwas über die Zukunft sagen konnten? Oder war das nur eine andere Art von Gauklerei? Er wollte Jana nicht unterstellen, dass sie ihm etwas vorgegaukelt hatte. Sie mochte selbst ja an die Magie des Tarot glauben. Aber konnte oder sollte auch er es?
Tobias ertappte sich dabei, dass er ruhelos durch die Gänge von Falkenhof lief. Seine Schritte hatten ihn ebenso auf den Dachboden gelenkt, wo er oft mit dem Franzosen gefochten hatte, wie in das Zimmer seines Vaters und in die große Bibliothek mit ihrer umlaufenden Galerie und dem großen Globus, den auch ein ausgewachsener Mann nicht umfassen konnte. Er ruhte in einer Aufhängung aus dunklem, geschnitztem Holz. Eine dieser hölzernen Einfassungen umlief die Erdkugel genau auf der Linie des Äquators. Er war aus Leder gefertigt, zeigte in verschiedenen Farben alle Kontinente sowie die Längen- und Breitengrade und ließ sich in der Achse der Pole drehen.
»Was zerbrech ich mir den Kopf darüber! Vielleicht hat Sadik in diesem Punkt gar nicht mal so Unrecht. Man soll nicht jedem Gerede glauben«, sagte er sich, versetzte dem Globus einen Stoß, dass die Kugel sich heftig drehte, und beschloss, nicht weiter darüber zu grübeln. Es würde sich ja zeigen, was an ihren Worten dran war.
Er zog sich eine warme Jacke über, fuhr in der Sattelkammer in seine Reitstiefel und sattelte den Wallach Astor. Der Nachmittag war dafür geschaffen, einen Ausritt zu unternehmen. Im Galopp ging es die Allee hinunter und hinein in den Ober-Olmer Wald. Er ritt bis nach Marienborn, ließ Astor dort die Dorfstraße hinauftraben, vorbei an der Kirche und dem Friedhof, und kehrte dann auf einem anderen Weg nach Falkenhof zurück, als die Sonne schon tief im Westen über den Feldern stand.
Gerade hatte er Astor versorgt und gestriegelt, als auch Sadik und sein Onkel zurückkehrten. Er war froh, die beiden wohlbehalten wieder zu sehen.
»Na, wie hast du den Nachmittag verbracht, mein Junge?«, wollte Heinrich Heller wissen, als er aus der Kutsche stieg, einen höchst zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht und ein längliches Paket unter dem Arm.
»Ich habe Jana ein bisschen Gesellschaft geleistet und bin dann ausgeritten.«
»Ein prächtiger Tag für einen Ausritt! Der Frühling wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ich spüre es in den Knochen.«
»Und wie war es in Mainz, Onkel?«, wollte Tobias wissen, während er ihm ins Haus folgte.
»Die Grenzpfähle im Deutschen Bund stehen noch so wie am Morgen«, scherzte Heinrich Heller gut aufgelegt. »Und unsere Königliche Hoheit, der Großherzog Ludwig, sitzt auch noch fest auf seinem Thron. So gesehen haben wir heute wohl nicht viel ausrichten können.«
»Onkel Heinrich! Du weißt ganz genau, was ich meinte!«, protestierte Tobias.
»Jaja, du versuchst es immer wieder, mir was über unseren … Kreis aus der Nase zu ziehen. Aber das wird dir nicht gelingen«, sagte er vergnügt.
»Du hast selbst gesagt, dass ich alt genug bin, um mir auch über Politik Gedanken zu machen.«
»Allerdings. Aber du bist noch nicht alt genug, um in Dinge eingeweiht zu werden, die die Reife und das Verantwortungsbewusstsein eines Erwachsenen verlangen«, erwiderte sein Onkel ohne jegliche Zurechtweisung. Es war eine sachliche Feststellung. »Die Entscheidung, gewisse Risiken einzugehen, sollte stets auf dem breiten Rücken reiflicher Überlegung und Erfahrung getroffen werden. Der Tag, an dem du Position beziehen musst, kommt auch für dich noch früh genug. Und jetzt schau dir das hier an!« Er drückte ihm das Paket in die Hände.
»Was ist das?«
»Ich habe Monsieur Fougot in Mainz getroffen und er bat mich, doch auf dem Rückweg bei ihm vorbeizukommen und das hier für dich mitzunehmen. Es ist ein Geschenk.«
Tobias glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. »Ein Geschenk für mich? Von dem Franzosen? « Er hätte alles andere von Maurice Fougot erwartet, nur das nicht.
Heinrich Heller lächelte. »Jaja, du hast schon richtig gehört, von dem Froschschenkelfresser!«
Tobias’ Ohren wurden rot. Fougot hatte seinem Onkel also davon erzählt. Das wiederum sah ihm ähnlich!
»Nun sieh schon nach, was es ist!«
Tobias wickelte den Gegenstand aus und war dann sprachlos vor ungläubigem Erstaunen: Er hielt ein sichtlich kostbares Florett mit Scheide und Gürtelschnalle in der Hand. Die Glocke der Waffe war über und über mit kunstvollen Ziselierungen
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