Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
kostbarer Stock symbolisierte, wie ein Marschallstab beim Militär, gleichzeitig die Stellung seines Vaters bei der Expedition, nämlich die des Anführers. Da war es nur logisch, dass Jean Roland, dessen Beruf mit dem gedruckten Wort zu tun hatte, sein Rätsel in Form eines Buches, eines Korans, erhalten hatte. Es ergab Sinn und passte derart gut zusammen, dass man Wattendorf nicht länger als Spinner und Wirrkopf abtun konnte. Die Art seiner Rätsel war viel zu intelligent ausgedacht, als dass sie dem Hirn eines Geistesgestörten hätten entsprungen sein können.
»Dürfen wir den Koran mal sehen?«, bat er.
Jean Roland seufzte. »Das ist leider unmöglich«, bedauerte er.
Sadiks Gesicht verdüsterte sich. »Zeppenfeld?«, fragte er knapp. »Ist er uns …?«
»Nein, nein!«, fiel Jean Roland ihm ins Wort. »Er ist euch nicht zuvorgekommen. Keine Sorge! Dieser Lump hat sich nicht bei mir blicken lassen. Das würde er auch niemals wagen. Er weiß, dass er mir niemals über die Türschwelle käme. Aber dennoch befindet sich der Koran nicht mehr in meinem Besitz. Es tut mir Leid, dass ich mich in der Beurteilung dieses Korans so sehr geirrt habe. Jetzt bin ich natürlich schlauer und wünschte, ich hätte es nicht so eilig gehabt, Wattendorfs Geschenk loszuwerden. Doch so liegen die Dinge nun mal.«
Diese Nachricht traf sie wie ein Schock, ganz besonders Tobias. Er konnte es erst gar nicht glauben. Wenn er Wattendorfs Ausführungen richtig verstanden hatte, kam der Karte, die im Falkenstock gesteckt hatte, die größte Bedeutung zu. Und die befand sich ja immerhin in ihrem Besitz. Aber war das Geheimnis des verschollenen Tales auch ohne den ›Schlüssel‹ zu lösen, den Wattendorf im Koran versteckt hatte?
Sadik überwand schneller als Jana und Tobias die Enttäuschung. »Darf ich fragen, wem Sie den Koran gegeben haben?«
»Einem gewissen Horace Blancourt. Er ist Journalist von Beruf, ohne die nötige Ausdauer, was seine Arbeitsmoral betrifft, aber unübertrefflich, wenn er es endlich geschafft hat, einen Artikel zu Papier zu bringen. Ich kenne niemanden, der so scharf und engagiert zu formulieren versteht wie er, besonders wenn es um die Sache der Freiheit geht. Vor den Wahlen schrieb er für meine Zeitung einige brillante Artikel, die viel Aufsehen erregten. Als ich ihn dann in meinem Büro auszahlen wollte, lag dort zufällig der Koran. Er gefiel ihm und da verschenkte ich ihn. Ich war froh ihn auf diese Weise loszuwerden.«
Tobias fasste neue Zuversicht. »Vielleicht können wir diesem Horace Blancourt den Koran wieder abkaufen – oder aber doch zumindest für eine Zeit lang ausleihen, bis wir das Rätsel gelöst haben und wissen, was es mit dem Koran auf sich hat.«
»Ja, sagen Sie uns seine Adresse«, bat Jana, »und wir werden ihn mit Ihrer Unterstützung bestimmt dazu bewegen können, uns den Koran für eine Weile zu überlassen.«
»Ich wünschte, das wäre so einfach«, sagte Jean Roland.
»Wo liegt das Problem?«, fragte Sadik.
»Bei Horace Blancourt. Denn er ist nicht nur sehr nachlässig, was seine journalistische Tätigkeit betrifft, sondern auch sonst ein unsteter Geist. Eine feste Adresse hat er nicht. Er wohnt vielmehr bei seinen jeweiligen …« Er hielt inne, warf einen unsicheren Blick in Janas Richtung und fuhr dann aber achselzuckend fort: »Nun ja, sprechen wir es ruhig aus: Er wohnt bei seinen jeweiligen Mätressen, die er aber so häufig wechselt, wie ein Schmetterling von einer Blume zur anderen flattert. Wem er im Augenblick seine zweifelhafte Gunst schenkt, entzieht sich leider meiner Kenntnis.«
»Aber irgendwo muss er doch zu finden sein«, beharrte Tobias.
Jean Roland nickte. »Gewiss, es gibt da bestimmte Orte, wo man ihn mit relativer Sicherheit antreffen kann. Doch dabei handelt es sich um gewisse Etablissements, die …« Er führte den Satz nicht zu Ende. »Wartet! Jetzt fällt mir ein, wo ihr Horace Blancourt antreffen könnt, ohne euch der lasterhaften Atmosphäre seiner bevorzugten Vergnügungsstätten aussetzen zu müssen: im Café du Caveaul. Das ist sein Stammlokal, wo er sich mit seinen Freunden trifft.«
»Und wo finden wir das?«, fragte Sadik.
»Unter den Kolonnaden vom Palais Royal, auf der anderen Seite der Seine, in der Nähe der Tuilerien und des Louvre. Das Café ist ein beliebter Treff von Journalisten, Künstlern und anderen Intellektuellen. Da geht es heute nach der Bekanntmachung der königlichen Erlasse bestimmt hoch her und Blancourt wird es
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