Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
gerade den Kleidersack aus Leinen, in dem er die Tagebücher seines Vaters aufbewahrt hatte. »Sadik! Bist du noch zu retten? Was tust du denn da?«
»Ich zerschneide den Sack zu Verbandsstreifen.«
»Ein Verband? Wofür soll der denn gut sein?«
Sadik zog das Leinen gleichmäßig über die Klinge. »Zeppenfeld wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen um so schnell wie möglich herauszufinden, wo wir sind. Natürlich wird es auch eine Beschreibung von uns geben. Ein Junge und ein arabischer Muselman auf der Flucht. Ein zu auffälliges Paar um es nicht im Handumdrehen aufzuspüren.«
»Einen Jungen wird es nicht geben«, widersprach Tobias. »Ich werde mich gleich in einen armen Schlucker verwandeln, der sein karges Brot als Hauslehrer auf dem Land verdient … und manchmal noch nicht mal das.« Er erzählte Sadik von den Sachen, die er auf Onkel Heinrichs Anraten hin mitgenommen hatte.
»Ausgezeichnet! Ich werde den rauflustigen Knecht spielen, der sich bei der letzten Schlägerei im Wirtshaus eine Pfanne heißes Fett mitten ins Gesicht eingehandelt hat«, erklärte Sadik grinsend. »Werde mich verbinden, dass ich wie eine Mumie aussehe.«
Tobias lachte. »Und schon sind der Junge und der Araber wie vom Erdboden verschluckt!«
»Sehen wir zu, dass wir so schnell wie möglich auf die Landstraße und ins nächste Dorf gelangen«, schlug Sadik vor.
Tobias kramte die Sachen seines Vaters aus der Truhe und zog sich bis auf seine Leibwäsche aus. Onkel Heinrich hatte Recht gehabt. Der dunkle Anzug seines Vaters passte ihm einigermaßen. Dass ihm die Hosen um die Hüften herum ein wenig zu weit waren, kam ihm ganz gelegen. Er wollte ja einen jungen Lehrer darstellen, der am allerwenigsten Geld für gutsitzende Kleidung übrig hatte. Hemd und Kragen waren sauber, aber sichtlich abgetragen und die altmodische Krawatte, burgunderrot mit grässlich unpassend gelben Pünktchen, bildete mit dem Zwicker das Pünktchen auf dem i.
»Na, dir würde ich meine halbwüchsigen Söhne aber nicht anvertrauen«, spottete Sadik. »Geschweige denn meine Töchter! Du hast genau die richtige Mischung aus durchgeistigtem Hungerleider und gut aussehendem Herzensbrecher!«
»Und du könntest mit Jana von einem Volksfest zum anderen ziehen«, erwiderte Tobias mit breitem Grinsen, »und zwar als lebende Mumie!«
Sadik hatte sich die langen Leinenstreifen vom Haaransatz bis zum Hals hinunter um den Kopf gewickelt. Von seinem Gesicht waren nur noch Augen, Mund und Nasenlöcher zu sehen, für die er entsprechend große Öffnungen gelassen hatte.
»Dann sind wir beide ja bestens gerüstet! Machen wir uns auf den Weg zum Frühstück!«
»Dein Wort in Allahs Ohren!«
»Aiwa, ja, Allahs Größe und Barmherzigkeit sind grenzenlos. Also warum soll er uns nicht ein kräftiges Mahl bescheren?«
Tobias verstaute alles in der Truhe und dann zogen sie los. Nach der nasskalten Nacht im Heuschober begrüßte Tobias erst den warmen Sonnenschein auf seinem Gesicht. Doch als sich die Landstraße kilometerweit durch Felder und kleinere Waldstücke zog, ohne dass ein Bauernhof oder eine Ansiedlung zu sehen war, wünschte er sich schon bald, der Himmel wäre ein klein wenig bewölkt. Er bedauerte Sadik, der unter dem Verband sicherlich noch mehr schwitzte als er.
Um sich von seinen schmerzenden Füßen, dem Muskelkater in den Armen und seinem Hunger abzulenken zog er Wattendorfs Brief heraus und las Sadik das Gedicht mehrmals vor. Im Gegensatz zur letzten Nacht war der Araber jetzt gern bereit, mit ihm darüber zu reden und Vermutungen anzustellen.
»Als du Jana und mir vor ein paar Wochen von Zeppenfeld und Wattendorf erzählt hast, hast du die Legende vom verschollenen Tal erwähnt«, erinnerte ihn Tobias. »Das Tal, das sich in der Nähe der Oase Al-Kariah befinden soll. Von einem verschollenen Tal ist auch in seinem Gedicht die Rede, hier: Im Gang des Skarabäus reist/Verschollenes Tal im Wüstensand! Ich wette, das ist das große Geheimnis, um das sich alles dreht!«
Sadik dachte darüber nach, während sie für ein paar Minuten in den Schatten eines Waldstücks eintauchten. »Nun ja, es ist nur eine Legende von vielen, die man sich an den Lagerfeuern der Beduinen erzählt …«, begann er dann mit skeptischer Einschränkung.
»Viele Legenden haben einen wahren Kern!«, fiel Tobias ihm ins Wort. »Und hat nicht dieser Beduine geschworen, dass sich dieses Tal in der Nähe jener Oase befindet?«
Sadik nickte. »Aiwa, das hat er schon.« Er klang
Weitere Kostenlose Bücher