Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
Rätsel zu lösen!«
Doch er fand es nicht heraus. Und Sadik löste es: »Ganz einfach: das Huhn und das Ei. Das Huhn wird geschlachtet, behält aber seine Haut. Das Ei wird gepellt, aber nicht geschlachtet.«
»Du bist wirklich gemein, Sadik«, maulte Tobias. »Ich habe schon wirklich das Gefühl, ein herrlich knuspriges Huhn riechen zu können.«
Sadik blieb abrupt stehen und schnupperte mehrmals. »Heilige Stutenmilch! Das ist nicht nur ein Gefühl, es riecht hier tatsächlich nach gebratenem Huhn!«, stieß er dann hervor.
»Du hast Recht! So einen köstlichen Geruch kann man sich gar nicht einbilden«, stellte Tobias aufgeregt fest. »Aber wo kommt er her?«
»Von irgendwo da drüben«, sagte Sadik und wies auf die Bäume und das dichte Gestrüpp, die zu seiner Linken lagen. »Das sollten wir uns mal näher anschauen.«
Die Truhe versteckten sie hinter einem Strauch. Sadik ging voran. Vorsichtig schlichen sie an der Baumgruppe vorbei. Das Gelände fiel etwas ab und war sehr unübersichtlich, weil hier ein hohes Gebüsch neben dem anderen stand.
Sie hatten sich etwa fünfzig, sechzig Meter von der Landstraße entfernt, als sie Stimmen hörten.
»Wülste vielleicht Holzkohle aus den Viechern machen?«
»Was verstehsten du von Hühnerbraten?«
»Soviel wie du allemal.«
»Hört doch auf euch zu streiten. Wir können ja mal eins aufschneiden.«
»Gibt nix aufzuschneiden. Sind innen noch zu roh. Aber wenn ihr’s blutig fressen wollt, nur zu. Ich nehm’ dann das andere.«
Tobias und Sadik hatten sich indessen so weit herangeschlichen, dass sie die Männer sehen konnten. Sie waren zu dritt und saßen im Gras um ein Feuer, über dem zwei Hühner am Spieß in ihrem eigenen Saft brutzelten.
»Zwei Hühner! Direkt vor unserer Nase!«, stöhnte Tobias unterdrückt auf und presste eine Faust in seinen knurrenden Magen. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen.
Auch Sadik schluckte. »Allahs Güte sei gepriesen!«
»Und was jetzt?«, raunte Tobias.
»Die Burschen sehen mir nicht danach aus, als hätten sie das Federvieh im Geschäft oder beim Bauern gekauft«, murmelte Sadik neben ihm. »Und vom Himmel sind sie auch nicht gefallen.«
Tobias gab ihm mit einem Nicken Recht. Die drei Männer sahen wahrlich nicht aus, als hätten sie die Hühner rechtmäßig erstanden. Es waren hagere, unrasierte Gestalten in abgerissenen, dreckigen Sachen. Es waren die Gesichter von Männern, die auf und von der Straße leben ohne sich ihren Lebensunterhalt jedoch durch harte Arbeit zu verdienen. Die langen Messer, die unter ihren Jacken hervorlugten, und die knorrigen Stöcke, die neben ihnen im Gras lagen, waren nicht nur dazu bestimmt, ihnen das Wandern zu erleichtern. Und die Federn, die überall das frische Grün sprenkelten, verrieten, dass die Hühner erst hier gerupft worden waren.
»Ich denke, wir leisten der Einladung Folge«, flüsterte Sadik ihm zu.
»Welcher Einladung?«, fragte Tobias verdutzt.
»Ich bitte dich! Was kann denn noch einladender sein als so ein
Duft?«
»Ja, aber …«
»Lass mich nur machen! Es könnte aber nicht schaden, wenn du die Augen auf hältst und das Florett schon mal in der Scheide lockerst. Sie sollen gleich wissen, woran sie sind. Das nimmt ihnen den Wind aus den Segeln.«
Tobias nickte.
»Der Kerl mit der Hasenscharte da, der den Spieß dreht, hat in dem Sack vor sich nämlich eine Muskete liegen«, fuhr Sadik leise fort. »Siehst du? Das Tuch zeichnet die Umrisse nach. Die Burschen fühlen sich offenbar sehr sicher.«
»Sie sehen gefährlich aus«, gab Tobias zu bedenken.
»Sie kennen uns noch nicht!« Sadik zog eines seiner beiden Messer hervor. Es war ein kostbares Stück. In die beidseitig geschliffene, gut zwei Finger breite Klinge waren arabische Schriftzeichen eingraviert, die Feuerzungen ähnelten. Das Griffstück bestand aus Elfenbein, das vom jahrelangen Gebrauch nachgedunkelt war. Ornamente rahmten auf beiden Seiten einen Skarabäus ein. Die aus gehämmertem Silber gearbeitete Scheide war innen mit dunklem Holz ausgeschlagen.
Mit Degen und Florett verstand Sadik fast so gut umzugehen wie Tobias, doch mit seinen Wurfmessern war er unschlagbar.
»Aber wenn du keinen Appetit auf Brathuhn hast, verzichten wir eben auf die Einladung. Was ist?«
Tobias schoss ihm einen gereizten Blick zu und fasste nach dem Florett, das ihm sein Fechtlehrer Maurice Fougot geschenkt hatte, nachdem er ihm, dem Meister aus Paris, in der Fechtkunst über den Kopf gewachsen war. Es war eine
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