Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
reiten. Sie wollten die Städte jedoch meiden, bei Mannheim den Rhein überqueren und die Pferde dann geradewegs nach Speyer lenken. Worms, das Jana ihm als ihr nächstes Ziel genannt hatte, ließ Tobias vorerst unerwähnt. Wenn sie erst am Rhein standen, war es noch früh genug, Sadik diesen Ort ans Herz zu legen.
Sie kamen die nächsten Tage gut voran. Unerfreuliche Ereignisse blieben aus. Das Wetter zeigte sich auch weiterhin von seiner frühsommerlichen Seite, und es wäre für Tobias geradezu eine Lust gewesen, unterwegs zu sein, wenn ihn nicht immer wieder die Gedanken an Falkenhof und an seinen Onkel bedrückt hätten.
Zum Neckar war es nur noch ein Ritt von wenigen Stunden, als Tobias merkte, dass sein Pferd lahmte. Er stieg ab und stellte fest, dass der Falbe an einem Hinterlauf das halbe Hufeisen verloren hatte, und das Eisen am anderen Huf sah auch nicht danach aus, als würde es noch lange halten.
»Bis zum nächsten Ort ist es zum Glück nicht mehr weit. Dort wird sich wohl ein Hufschmied finden lassen«, meinte Sadik.
»Und ein Gasthof«, fügte Tobias hinzu. »Heute schaffen wir es jedenfalls nicht mehr über den Neckar.«
Sadik zuckte mit den Achseln. »Es besteht auch kein Grund zur Eile, Tobias. Wir haben noch viel Zeit. Es drängt mich gar nicht danach, so früh schon bei diesem Musikus Claus Detmer zu erscheinen. Und nach Lyrik steht mir der Sinn auch nicht. Die frühe Rast wird uns allen guttun.«
Keine Stunde später erreichten sie das kleine Dorf Siebenborn. Gleich am Ortsanfang fanden sie Hufschmiede und Gasthof, beides beinahe unter einem Dach.
Zur Goldenen Ähre hieß der gepflegte Gasthof, der zugleich auch Postkutschenstation war, was Sadik weniger behagte. Aber diesmal konnten sie es sich nicht leisten, andernorts einzukehren. Die Hufschmiede lag gegenüber auf der anderen Seite des Hofes. Beide Gebäude wurden durch die Stallungen und die Scheune getrennt und bildeten gemeinsam ein U, dessen offene Seite zur Straße zeigte.
Leo Kausemann hieß der Gastwirt, der nicht nur das Handwerk des Hufschmieds ausübte, sondern zudem auch noch das Amt des Bürgermeisters innehatte. Er war ein Mann von beeindruckender Gestalt. Alles an ihm sprengte die Norm.
Tobias musste zu ihm aufblicken und dabei war er selber nicht gerade von kleiner Statur. Doch Leo Kausemann ragte vor ihm auf wie ein Fels in der Brandung. Er hatte sich eine Lederschürze vor die nackte, dicht behaarte Brust gebunden, die breit wie das Kreuz eines Ochsen war. Die Muskelpakete auf den Oberarmen erinnerten Tobias an einen Preisboxer. Und der markante Schädel, in dem wache Augen blitzten, schien geeignet dicke Bohlenwände zu durchbrechen.
»Will euch nicht das Geld aus dem Fell zwicken, aber die Eisen taugen alle nicht mehr viel«, erklärte Leo Kausemann, nachdem er die Hufe bei beiden Pferden untersucht hatte.
»Ob ihr sie gleich hier beschlagen lassen wollt, ist euch überlassen. Aber ein guter Tagesritt und ihr könnt Ausschau nach dem nächsten Hufschuster halten.«
»Dann gehen Sie mal an die Arbeit, Meister«, forderte Sadik ihn auf. »Was getan werden muss, soll man immer gleich in Angriff nehmen.«
Der Koloss von einem Mann nickte bekräftigend.
»Ganz mein Reden. Bin nicht von ungefähr schon zwanzig Jahre Bürgermeister. Hab’ den Leuten immer klaren Wein ausgeschenkt! Nicht nur im Wirtshaus! Die Leute wissen ein offenes Wort zu schätzen, auch wenn es ihnen anfangs gegen den Strich geht.«
»Wie sieht es denn mit einem Zimmer für die Nacht aus?«, wollte Tobias wissen.
»Ihr habt die erste Wahl. Noch ist die Postkutsche nicht eingetroffen. Magdalena wird euch die Zimmer zeigen! Magdalena!« Seine Stimme schwoll zu einer Stärke an, dass sogar Bruder Nepomuk beeindruckt gewesen wäre. »Magdalena! Gäste! … Immer derselbe Ärger mit diesen jungen Weibsbildern! Wenn doch meine Frau nur schon wieder zurück wäre! Ohne die Mutter läuft einfach nichts! Na, endlich!«
Eine junge Frau in einem einfachen Kleid eilte aus einem der Nebengebäude. Sie band sich hastig eine schneeweiße Schürze um. Magdalena war ausgesprochen hübsch, schlank in der Gestalt und üppig in den Brüsten. Achtzehn, neunzehn mochte sie sein. Sie trug das braune Haar im Nacken zu einem Zopf gebunden. Ihre Augen waren groß und rot geweint.
»Kümmere dich um unsere Gäste! Sie möchten ein Zimmer für die Nacht.«
Magdalena nickte, den Blick gesenkt. »Ja, Patron.«
»Und vielleicht möchten sie sich auch den Staub eines
Weitere Kostenlose Bücher