Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
den Füßen und mobilisierte nun alle Kräfte um ans Ufer zu gelangen. Wie Blei waren seine Beine und die Strömung zerrte genauso an ihm wie das Seil. Er musste es durch seine Hände rutschen lassen um nicht wieder von den Füßen gerissen zu werden. Und dabei rannte er doch schon durch das mittlerweile nur noch knietiefe Wasser! Verzweifelt hielt er Ausschau nach einem Baum, der nahe genug stand um das Seil um seinen Stamm zu schlingen. Doch das Land stieg hier nur langsam und über breiten, wiesigen Grund zur Baumgrenze an, die für ihn unerreichbar war.
Tobias hatte Angst, das Seil könnte nicht reichen. Ihm waren nur noch zwei, drei Meter geblieben. Da wuchs vor ihm eine junge Trauerweide aus der Nacht. Das war die Rettung! Er lief vier, fünf Schritte schräg das Ufer hoch zu dem Stamm, der nicht dicker als sein Oberschenkel war.
Tobias sprang hinter den Baum, so dass das Seil nun ein U um die Trauerweide bildete. Augenblicklich spannte sich das Tau. Er stemmte sich gegen die gewaltige Kraft, die jetzt am anderen Ende zum Einsatz gelangte. Glühender Schmerz raste durch seine Arme, als er dieser Kraft standzuhalten versuchte. Die junge Trauerweide bog sich ächzend unter dem Druck von beiden Seiten und die Erde hob sich über dem dichten Wurzelgeflecht zu Tobias’ Füßen.
Doch noch bevor diese Last, die auf den Baum einwirkte, ihn entwurzeln konnte, musste Tobias den Kampf aufgeben. Er hatte sich dem ungeheuren Gewicht, das ihm jetzt das Seil aus den Händen riss, nur wenige Sekunden widersetzen können.
Mit einem verzweifelten Aufschrei ließ er das Seil fahren und stürzte zu Boden. Er war fest davon überzeugt, seine Chance vertan und den Fährkahn nicht ans Ufer gebracht zu haben. Doch als er sich herumwälzte und aufschaute, sah er, dass er sich geirrt hatte.
Der Fährkahn trieb im flachen Wasser! Diese wenigen Sekunden des Widerstands mussten offensichtlich ausgereicht haben um das Boot aus der Strömung und in Ufernähe zu bringen. Sadik sprang gerade an Land, bückte sich nach dem Seil, das durch den Ufersand schleifte, und rannte damit zu einem Baum hoch, der bedeutend kräftiger war als die Trauerweide. Und bevor der Kahn weitertreiben konnte, hatte er das Seil schon dreimal um den Stamm gewickelt. Ein letzter Ruck und der Fährkahn war endgültig am Ufer zum Stehen gebracht.
Unbändige Freude und Erleichterung durchströmten Tobias. Auch ein wenig Stolz. Sie hatten es geschafft und waren noch einmal mit ein paar Blessuren und einem gehörigen Schreck davongekommen.
Vergessen waren in diesem Moment die schmerzenden Glieder und Muskeln und die Hautabschürfungen an den Händen, die er sich zugezogen hatte, als er das Seil nicht schnell genug losgelassen hatte.
So schnell er konnte lief er zu Sadik und Magdalena hinüber. Sein Freund hatte den Falben schon vom Fährboot geholt und die Zügel sicherheitshalber an einen tiefhängenden Ast des Baumes gebunden.
Doch bis auf ein nervöses Schnauben zeigte der Falbe keine Anzeichen von Verstörung. Er hatte diese Wildwasserfahrt erstaunlich gut überstanden.
Was man von Magdalena dagegen nicht behaupten konnte. Sie hockte wie ein Häufchen Elend im Sand, die Beine bis zur Brust angezogen und den Kopf zwischen den verschränkten Armen vergraben. Ein heftiger Weinkrampf schüttelte ihren Körper.
Tobias beugte sich zu ihr hinunter und legte ihr seine Hand sanft auf die Schulter. »Warum weinst du? Es ist alles gut. Wir sind sicher an Land. Der Alptraum ist überstanden. Und bis nach Stillinghausen werden wir es nun auch noch schaffen«, versuchte er sie trösten und hoffte die richtigen Worte gefunden zu haben. Doch sicher war er sich dessen nicht. Wie sollte er auch? Erfahrungen mit jungen, weinenden Frauen waren ihm bisher erspart geblieben.
»Ich weiß, es ist dumm und lächerlich, dass ich mich jetzt so aufführe, wo alles vorbei ist«, brachte sie unter Schluchzen hervor. »Aber ich kann einfach nicht dagegen an.«
»Nein, es ist weder dumm noch lächerlich«, widersprach er. »Ich glaube, uns allen sitzt der Schreck noch ganz mächtig in den Gliedern.«
»Es ist bestimmt gleich vorbei«, versicherte sie und fuhr sich über die Augen.
Sadik trat zu ihm und Tobias erhob sich. Er fühlte sich ein wenig beklommen und brachte daher nur ein schiefes Grinsen zustande.
Doch Sadik lachte ihn an und drückte ihn in einer Geste freundschaftlichen Überschwangs an sich. »Gut hast du das gemacht«, lobte er ihn. »Bei Allah, du hast dich tapfer
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