Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
Weibsbild, das dem Spezereien-Anton die Brezen gebracht hat, einen Schreck einjagen!«
»Ich will nichts mehr hören!«, donnerte Melchior Meiler. »Wenn das noch einmal passiert, könnt ihr sehen, wo ihr bleibt. Und jetzt geht mir aus den Augen!«
Wütenden Blickes, aber ohne ein einziges Widerwort leisteten die siamesischen Zwillinge der Aufforderung Folge und begaben sich auf schnellstem Weg in ihren Wohnwagen.
Melchior Meiler sah nun zu Ursus hoch. Er musste sich dabei fast den Kopf verrenken, denn er reichte dem Kraftmenschen gerade bis zum Bauchnabel.
»Und was stehst du hier herum und guckst dumm aus der Wäsche?«, fuhr er ihn in seiner zornigen Erregung an. »Hast du nichts zu tun?«
Bevor der kleinwüchsige Direktor wusste, wie ihm geschah, hatte Ursus ihn unter den Armen gepackt und hochgehoben. Er hielt ihn so, dass sie sich auf einer Höhe in die Augen blicken konnten. Und mit trügerisch sanfter Stimme erwiderte er: »Sie geraten in Ihrem Geschäft mit zu vielen Monstern in Berührung, Direktörchen. Das ist nicht gut für die Gemütslage.«
Der Direktor strampelte wild in der Luft und verlangte mit nun dünner Stimme und blassem Gesicht: »Lass mich auf der Stelle runter, Ursus! Runterlassen, verdammt noch mal!«
Unbeeindruckt davon fuhr Ursus fort: »Und es gefällt mir gar nicht, wenn Sie mich so grob anfahren. Ich gehöre nicht zu Ihrem
Kabinett, mein Bester. Ich arbeite vor Ihrem Zelt, nicht drinnen! Die Frau ohne Unterleib, Ihren Albino und den ewig besoffenen Haarmenschen können Sie mit solchen Tönen anpfeifen, ohne dass Sie um Ihren kurzen Hals fürchten müssten. Doch bei mir sollten Sie das besser bleiben lassen.«
Melchior Meiler trommelte mit seinen Schuhspitzen auf die breite Brust des Kraftmenschen, ohne dass das irgendeine Wirkung gehabt hätte. »Ursus! Ich warne Sie!«
»Ah, das klingt schon wieder besser in meinen Ohren. Das stimmt mich gleich eine Nummer verträglicher«, sagte der Feuerschlucker mit breitem Grinsen und ließ ihn wieder auf den Boden hinunter. »Und wenn Sie mit meiner Arbeit nicht mehr zufrieden sind, verehrter Direktor, quälen Sie sich nicht zu lange damit, es mir zu sagen. Meine Sachen sind schnell gepackt.«
Melchior Melier zupfte seine Jacke ärgerlich zurecht, warf ihm einen irritierten Blick zu und sagte mit einer wegwerfenden Handbewegung: »Ach was, reden Sie doch nicht so einen Unsinn daher! In einer Stunde stehen Sie pünktlich vor dem Zelt auf Ihrem Podest! Und dass Sie mir diesmal nicht wieder ein halbes Dutzend Kerzen verschmelzen, bevor Sie den verdammten Docht zum Brennen kriegen!«, brummte er, wandte sich abrupt um und eilte davon.
Mit einem eigentümlich glucksenden, leisen Lachen sah Ursus ihm nach. »Kein übler Mensch, unser Direktor«, sagte er vergnügt. »Hartes Gewerbe, das er betreibt. Nur muss man ihn manchmal daran erinnern, dass man kein sechsbeiniges Kalb ist, das man nach Belieben herumstoßen und in die Box sperren kann. Und jetzt komm, Bostia. Ich lad’ dich zu einem Becher Kaffee ein. Siehst so aus, als könntest du einen heißen Schluck von meinem Gebräu gut vertragen. Bist noch nicht lange dabei, nicht wahr?« Er machte eine Handbewegung, die den Jahrmarkt umschloss.
»Nein«, gab Tobias zu und sah sich vergeblich nach Jana um. Auch Sadik war nirgends zu sehen. Er war wohl mit dem Fuhrwerk weg, das nun nicht mehr neben Janas Wagen stand. »Weißt du zufällig, wo Jana und mein Freund stecken?«
Ursus nickte. »Sind zu Ludwig Leineweber hinüber, dem das Karussell gehört. Ich glaube, dein Freund Dakis will ihm euer Fuhrwerk verkaufen. Es wird etwas dauern, bis sie zurück sind. Der Ludwig ist ein ausgekochtes Schlitzohr, der zudem das Feilschen liebt wie der Teufel die armen Seelen. Wir haben also Zeit genug für einen Muntermacher, mein Junge.«
Tobias folgte ihm mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Wer wohl von den beiden auf die Idee gekommen war die Buchstaben ihrer Namen zu einem Anagramm umzustellen und dadurch aus Tobias Bostia und aus Sadik Dakis zu machen?
»Hereinspaziert in Ursus’ gute Stube!«, rief der kahlköpfige Feuerschlucker und Kettensprenger fröhlich.
Tobias betrat den Wagen, der von der Größe Janas rollendem Zuhause glich – und erlebte an diesem erlebnisreichen Morgen eine weitere Überraschung. Er hatte nicht darüber nachgedacht, wie es in Ursus’ Behausung wohl aussehen mochte. Doch auch wenn er Vermutungen angestellt hätte, wäre er doch nie auf die Idee gekommen, dass er dort
Weitere Kostenlose Bücher