Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
könnt, dass ich mehr zu tun bekomme – und es nicht mehr so langweilig wird.«
»Na klar helfen wir dir, wenn wir können!«, versicherte Tobias spontan.
»Vorausgesetzt natürlich, dass wir nicht für dich Löcher in die Zukunft gucken sollen«, konnte sich Sadik nicht verkneifen zu sagen.
Sie lachte nur. »Nein, nein, das würde ich einem indischen Schlangenbeschwörer niemals zumuten!« Dann wurde sie wieder ernst. »Ich könnte mit euch das Spiel der magischen Gedankenleserin spielen. Das habe ich mit Tante Helena und Onkel Rene immer mit viel Erfolg veranstaltet.«
»Magische Gedankenleserin?«, wiederholte Tobias. »Das musst du uns erklären.«
»Das ist so etwas Ähnliches, was Ursus drüben bei Melchior Melier betreibt. Ich meine nicht das Spiel, sondern das Prinzip«, sagte Jana. »Mit seinen kostenlosen Kunststücken als Feuerschlucker und
Entfesselungskünstler bringt er die Leute dazu, erst mal stehen zu bleiben. Denn was nichts kostet, kann man sich ja getrost ansehen. Wenn die Menge aber erst mal vor seinem Zelt steht, kriegt Melchior sie mit seinen Anpreisungen viel leichter dazu, doch auch mal einen Kreuzer auszugeben um sich das anzusehen, was innen im Zelt an Spektakulärem verborgen ist. Es gibt immer ein paar, die zur Kasse gehen, und diese ziehen dann eine Menge anderer gleich mit.«
Sadik verzog das Gesicht. »In der Menge haben die Leute den Mut und das Selbstbewusstsein eines Riesen, aber den Verstand einer Ziege.«
»Aber so läuft es auf einem Jahrmarkt nun mal ab«, sagte Jana.
»Schön und gut, wir wissen jetzt, warum dieser Winzling Melchior Meiler Ursus vor dem Zelt agieren lässt, ohne dass jemand dafür zu bezahlen braucht. Aber wie dein magisches Gedankenspiel aussieht, hast du uns noch immer nicht verraten«, sagte Tobias.
Jana erläuterte ihnen die Regeln dieses Spiels. »Es geht ganz einfach. Der Gehilfe, der natürlich einen wohlklingenden Namen wie Magier-Assistent erhält, fordert einen der vorbeibummelnden Jahrmarktsbesucher auf, aus einem Stoß Karten eine herauszuziehen. Ist das geschehen, sorgt man für ein bisschen Tamtam, dass hier jemand mit übersinnlichen Kräften sagen kann, was für eine Karte das ist.«
»Woraufhin immer mehr Menschen stehen bleiben und sich das Spiel ansehen«, folgerte Sadik.
Jana nickte. »Richtig, denn es kostet ja nichts. Nachdem ich dann zwei-, dreimal die Karte richtig benannt habe, macht man das Ganze noch ein bisschen spannender und aufregender, indem der Gehilfe jemanden bittet sich eine beliebige Zahl von null bis hundert auszudenken, die dann ich – die Gedankenleserin – kraft meiner magischen Fähigkeiten benennen werde. Damit hinterher jeder sehen kann, dass niemand geschummelt hat, muss derjenige diese Zahl auf einen Zettel schreiben und in die Schatulle legen, die du dafür auf einem Tisch vor dir stehen hast. Am besten wählt man eine Person aus, die nicht den Eindruck erweckt, als könnte sie schreiben – etwa einen älteren Mann, dem man das harte Leben auf dem Feld oder in einer Werkstatt ansehen kann, oder ein junges Mädchen, das in Begleitung seiner Eltern und somit über jeden Verdacht erhaben ist. Dann lässt du dir die Nummer ins Ohr flüstern, notierst sie auf dem Zettel, steckst sie in die Schatulle – und ich verkünde diese Nummer nach ein paar sogenannten magischen Mätzchen.«
»Und danach sind dann genug Leute bereit, sich gegen Geld die
Karten von dir legen zu lassen – trotz deines jugendlichen Alters«, sagte Sadik und ein missbilligender Tonfall schwang in seiner Stimme mit.
»Ja, so ist es! Und du kannst es ruhig beim Namen nennen: Es ist eine Täuschung«, sprach Jana aus, was er nicht direkt benannt hatte.
»Eine zugegebenermaßen geschickte Täuschung«, räumte Sadik ein.
»Es ist ein kostenloser Zeitvertreib, der niemanden dazu zwingt, sich in mein Zelt zu begeben um sich für einen Kreuzer die Karten legen zu lassen«, verteidigte sich Jana nun mit Nachdruck. »Ich sehe darin nichts Verderbliches. Die Sensationen auf einem Jahrmarkt sind selten wirkliche Sensationen. Und wer wirft einem Zauberer vor, dass er die Leute mit seinen Kunststücken an der Nase herumführt? Denn bis auf die Kinder weiß doch jedermann, dass es wirkliche Zauberei nicht gibt, sondern alles nur auf einem geschickten Trick beruht. Wer tatsächlich zaubern kann, tingelt bestimmt nicht von einem Jahrmarkt zum anderen, oder? Und glaubst du, die Frau ohne Unterleib in Melchior Meilers Kabinett hätte wirklich
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