Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
war über und über mit roten Schwellungen bedeckt, als wäre ein wild gewordener Bienenschwarm über ihn hergefallen.
»Hilfe!«, krächzte er.
Jana zwängte sich an ihm vorbei. »Helft uns!«, wimmerte auch sie. »Kann uns denn keiner helfen? … Wir brauchen einen Arzt!«
Ihr Erscheinen hatte einen vielstimmigen Aufschrei des Entsetzens zur Folge und die Wegelagerer wichen in panischer Angst zurück.
»Aussätzige! Es sind wirklich Aussätzige!«, schrie einer.
Auch Tobias erschrak im ersten Moment, als Jana zu ihm auf den Kutschbock kroch. Ihr Gesicht sah noch grässlicher aus als Sadiks. Rote Quaddeln entstellten ihr Gesicht und überzogen auch ihre Hände. Mund und Zähne waren wie eine schwarze Höhle und schmutziger Schaum bedeckte ihre Lippen. Sie bot fürwahr einen Anblick, der einem das Grauen in die Glieder treiben konnte.
»So helft uns doch!«, schrie Jana, taumelte scheinbar entkräftet vom Kutschbock und streckte die Arme nach den Männern aus, die sie hatten ausrauben wollen. »Warum hilft uns denn keiner!«
»Los, bloß weg von hier!«, brüllte der Anführer von Panik erfasst. »Sie schleppen den Tod mit sich!«
Die Männer spritzten wie Dreck unter dem Einschlag einer Kanonenkugel auseinander und flüchteten in den Wald, der sie Augenblicke später verschluckte wie die Nacht einen Schatten.
Jana sprang wieder zu Tobias und Sadik auf den Kutschbock. »Sehen wir zu, dass wir von hier verschwinden!«, rief sie gedämpft.
Tobias Hess die Zügel auf Napoleons Rücken klatschen, der sich auch sofort kräftig ins Geschirr legte, als spürte er, wie wichtig es war, dass sie diesen Ort so schnell wie möglich hinter sich ließen.
»Heiliger Lazarus, ihr seht ja wirklich zum Fürchten aus! Vor allem du, Jana! Man könnte tatsächlich meinen, ihr hättet ansteckenden Aussatz. Wie hast du das bloß angestellt?«, wollte Tobias wissen.
»Indem sie mich und sich mit ihren verdammten Brennesseln gepeitscht hat!«, erklärte Sadik mit verzerrtem Gesicht. »Möge Allah mir die Kraft geben, dass ich mir nicht das Gesicht blutig kratze! Es juckt wie die Hölle! Hoffentlich hilft die Salbe, die ich in meinem Medizinkasten habe.« Er hatte es sehr eilig, nach hinten zu gelangen und sein Sandelholzkästchen hervorzukramen, das allerlei arabische Heilmittel enthielt.
»Besser ein blutig gekratztes Gesicht als ein Blutbad mit ungewissem Ausgang«, erwiderte Jana mit einem reichlich schiefen Grinsen. Auch ihr mussten Gesicht und Hände fast unerträglich jucken.
Tobias sah sie mitleidig an. »Brennesseln, mein Gott!«, murmelte er.
»Wenn ich allein unterwegs bin, pflücke ich morgens immer ein Bund Brennesseln, das dann in einem alten Beutel griffbereit rechts vom Teppich hängt«, sagte Jana und spuckte aus. »Das ist mir so in
Fleisch und Blut übergegangen, dass ich es fast schon unbewusst tue. Meine Haut reagiert auf die Pflanzen nämlich unheimlich stark. Ich krieg’ davon augenblicklich Ausschlag.«
»Aber das tut doch weh«, murmelte Tobias betroffen.
»Sicher, aber nicht halb so weh, als wenn man geschlagen, ausgeraubt und vielleicht auch noch vergewaltigt wird«, erwiderte sie.
Tobias schauderte. »Danke, dass du es getan hast.«
Jana machte eine etwas verlegene, abwehrende Handbewegung. »Ach was! Hätte ich diesen Trick nicht gekannt, hättet ihr euch ja auch mit diesem Gesindel in einen Kampf eingelassen, ohne dass ich dabei viel hätte ausrichten können. Es war schon besser so. Außerdem erlebe ich das ja nicht zum ersten Mal. Ich habe dir doch gesagt, dass das Leben auf der Landstraße seine guten und seine unangenehmen Seiten hat. Wichtig ist nur, dass man solch üble Situationen mit heiler Haut übersteht. Das haben wir geschafft.«
Er nickte, noch immer betroffen, was sie sich selbst angetan hatte um die Gefahr zu bannen. Was musste es für Überwindung kosten, sein Gesicht in einen Bund Brennesseln zu stecken? Er schämte sich, als er sich bei dem Gedanken ertappte, dass er es vielleicht vorgezogen hätte, sich auf seine Fechtkünste zu verlassen.
Schnell fragte er: »Aber was ist mit deinem Mund und dem Schaum?«
Jana lachte. »Ach, das ist nichts weiter als eine Mischung aus Tinte und Seife. Schmeckt zwar abscheulich, ist aber unheimlich wirkungsvoll, wie du gesehen hast – sofern einem derjenige, den man erschrecken will, nicht zu nahe ist. Aber wenn man so aussieht, ist die Gefahr, dass einem jemand ganz nah auf die Haut rückt, zum Glück ja nicht sehr
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