Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
dem Allgäu auch noch den Rest eines ganz normalen Arbeitstages eines Berliner Kommissars erleben wollen, dann kommen Sie jetzt mit. Meine Männer sind bereits vor Ort. Eine Spedition. Sitzt in einem Gebäude, das ebenfalls dieser IMMODARG gehört. Gehen wir?«
Brunner und Walcher nickten.
»Na dann, meine Herren!«
Die Spedition
Walcher fühlte sich hundemüde. Er war seit vier Uhr morgens auf den Beinen, und jetzt zeigte die Uhr bereits eine Stunde nach Mitternacht. Brunner und Moosmann war keine Müdigkeit anzumerken, sie schienen so einen überlangen Arbeitstag besser wegzustecken, oder wollten sie vor dem Journalisten die Ironmen spielen?
Das Gewerbegebiet im Osten Berlins wartete noch auf den Aufschwung. Selbst im spärlichen Licht der Laternen wirkte jedes zweite Gebäude abbruchreif. Auch das Speditionsgebäude hatte seine besten Zeiten schon lange hinter sich, nur gab es hier eine ordentliche Beleuchtung. Die stammte allerdings aus den Strahlern der Polizei, die mit Flutlicht die Nacht aus dem letzten Winkel des Hofes vertrieben hatte.
Der Einsatzleiter informierte Moosmann, dass es keinen Widerstand gegeben habe und die Mitarbeiter bereits verhört würden. Der Geschäftsführer, ein gewisser Nikolas Bromadin, habe sich sehr kooperativ verhalten, auch er werde derzeit verhört. Im Moment würden die Lagerbereiche und lagernde Waren kontrolliert, und die Finanzfahnder packten gerade die Geschäftsunterlagen zusammen … Hier unterbrach der Ruf eines Kriminaltechnikers den Lagebericht. Er stand bei dem Truck an der Laderampe und hatte mit einem dicken Filzstift senkrecht einen Strich gezogen.
»Sehen Sie, Chef«, der Beamte war hörbar erregt, »die Ladefläche innen reicht nur bis zum Strich hier. Bis zur Vorderfront ist es aber gut noch einen Meter. Das sieht nach ’nem Stauraum aus. Hab’ mir’s von unten, oben, vorn und seitlich angesehen, kann aber keinen Einstieg finden. Sieht ziemlich perfekt aus.«
Der Einsatzleiter und Moosmann nickten anerkennend. »Dann schlitzen Sie die Kiste auf«, befahl Moosmann. »Geben wir aber dem Geschäftsführer die Chance, uns das zu erklären. Das könnte Zeit und Mühe sparen.«
Der Geschäftsführer schüttelte aber nur den Kopf und brabbelte ohne Punkt und Komma in einem russisch-deutschen Slang vor sich hin. Dass er sich nicht vorstellen könne – dass es ein Versteck in dem Truck geben sollte – wäre ja wohl das Allerneueste – er wüsste davon nichts – sonst hätte er ja schon davon gehört, und wenn es doch stimmte – dann könnte es höchstens ohne sein Wissen die Zentrale in Moskau fabriziert haben – und was überhaupt die Razzia sollte – er würde seine Geschäfte seriös betreiben – mit seinen Papieren wäre alles in bester Ordnung und dass er sich beim Botschafter beschweren würde – das wären ja üble Handelsrepressalien …
Moosmann winkte ab: »Den Fahrer, bitte.« Als aber auch der Fahrer vorgab, nichts von einem Versteck zu wissen, gab Moosmann den Befehl: »Knacken Sie die Dose. Und die beiden Ignoranten sollen zuschauen, wie wir maken ihr gut Maschin kapuut.«
Fünf Minuten lang ließen die Techniker den Trennschneider kreischen, dann riefen die Männer aufgeregt nach dem Notarzt. Im grellen Licht der Scheinwerfer trug einer von ihnen ein Mädchen heraus. Der Sanitätswagen war nah an den Aufleger herangefahren. Arzt und Sanitäter nahmen das Menschenbündel entgegen und hoben es in den Notfallwagen. Das Herz des Mädchens schlug noch, und nach einer schnellen Untersuchung zeigte der Arzt mit erhobenem Daumen an, dass das Mädchen überleben würde.
Die anderen vier Mädchen dagegen lebten nicht mehr. Die Polizisten hatten sie aus dem engen Versteck getragen und nebeneinander auf die Ladefläche gelegt. Moosmann, der Einsatzleiter, Brunner und Walcher stiegen hinauf und standen vor vier toten Kindern. Die kleinen Körper waren zusammengekrümmt. Alle vier hatten erbrochen. Selbst die Kriminalbeamten, die schon viele Leichen in ihrem Berufsleben hatten ansehen müssen, wandten sich ab und kämpften um ihre Fassung. Kinderleichen rührten an Empfindungen, die das Maß des Fassbaren weit überschritten. Walcher wusste im selben Moment, in dem er auf die toten Körper sah, dass ihn dieses Bild verfolgen würde wie eine Anklage. Und auch die Leichen in dem Weinfass in Burgund sah er plötzlich vor sich, obwohl er davon nur aus Erzählungen wusste. Am liebsten hätte er sich still davongestohlen, aber er hatte das Gefühl,
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