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Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)

Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)

Titel: Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Rangnick
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»Dieses Thema kann man nicht wirklich abschließen. Mir geht zum Beispiel immer wieder eine Geschichte aus meiner Kindheit durch den Kopf.«
    Johannes fing an zu erzählen. »In meiner Nachbarschaft gab’s einen Jungen, der jüngste unserer kleinen Straßenbande. Meistens wurde er von uns gehänselt, nicht schlimm, aber keiner von uns nahm ihn so richtig für voll. Nicht dass wir ihn ausgrenzten, aber niemand aus der Gruppe suchte seine Freundschaft oder kümmerte sich um Klaus, so hieß er.« Johannes zündete sich eine Zigarette an, bevor er weitersprach. »Klaus hatte sehr strenggläubige Eltern. Nach der Schule ging er direkt nach Hause, und mit uns spielen durfte er nur selten. Die Clique badete den ganzen Sommer über im nahen Weiher, da war er nie dabei. Eines Nachts stand er vor meinem Fenster. Er hatte so lange Steinchen in mein Zimmer geworfen, bis ich aufwachte und ihn reinließ. Er war völlig fertig. Er weinte und zitterte und erzählte mir, dass ihn sein Vater seit Jahren missbrauchte. Natürlich sprach er damals nicht von Missbrauch, er nannte es anders, er sprach von Spielen in der Badewanne und dass der Vater ihn verprügelte, wenn er sich weigerte. Wenn sein Vater mit ihm badete, schloss sich seine Mutter in ihrem Zimmer ein.
    Ich war damals vierzehn und konnte mir nicht vorstellen, was das für Spiele sein sollten. Ich verstand nur die Blutergüsse, die er mir zeigte, und mir wurde klar, warum er nie mit uns schwimmen ging. Als ich meinen Eltern beim Frühstück von Klaus erzählte, er war bei mir geblieben und schlief noch in meinem Bett, stand mein Vater wortlos auf, ging in mein Zimmer, weckte Klaus und brachte ihn zu seinen Eltern. Niemals hab ich den enttäuschten Blick vergessen, mit dem mich Klaus damals ansah. Kurz danach zogen sie weg, und ich habe nie wieder etwas von ihm gehört.
    Erst viel später, als in der Zeitung groß über einen jahrelang unentdeckt gebliebenen Kindesmissbrauch berichtet wurde, diskutierte ich mit meinem Vater über das Thema und auch über sein Verhalten damals. Mein Vater hatte Klaus abgeliefert, ohne ein Wort über den Missbrauch zu verlieren, wie er zugab. Er wollte die Familie nicht zerstören, brachte er als Argument vor. Nicht die Familie zerstören. Unglaublich.«
    »So unglaublich ist das gar nicht«, schüttelte Walcher den Kopf. »Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Nicht umsonst spricht Unicef gegenüber dem angezeigten sexuellen Kindesmissbrauch von einer viermal so hohen Dunkelziffer. Und diese Anzeigen kommen nicht aus der Nachbarschaft, sondern von Kindergärtnerinnen, Lehrern und älteren Geschwistern. Und was meine, unsere Recherche betrifft, so hast du wohl leider recht, da wird es niemals ein Ende geben.«
    Kurz nach der Grenze wechselten sie sich ab. Johannes stellte die Rückenlehne nach hinten, schloss die Augen und schlief sofort ein. Er wachte erst zwei Stunden später wieder auf, als Walcher vor Johannes’ Haus in Zürich hielt.
    »Das ging ja hurtig«, stellte Johannes verschlafen fest, »magst’ noch mit hereinkommen?«
    Aber Walcher zog es nach Hause, und er fühlte sich auch noch frisch genug, um gleich weiterzufahren. Nur sein Handy und seine Ausweispapiere, die er in Johannes’ Wohnung deponiert hatte, ließ er sich geben. Beim Abschied konnte sich Walcher nicht verkneifen, über die Horoskopgläubigkeit von Johannes zu frotzeln: »Du solltest häufiger deinem Horoskop folgen, das letzte stimmte jedenfalls, du hast doch wirklich eine unvergessliche Bekanntschaft gemacht.«
    Johannes nickte und konterte: »Und diesmal bei körperlicher Unversehrtheit«, spielte er wieder einmal auf seine fehlende Niere an. Eigentor, dachte Walcher, zog eine Grimasse und fuhr davon.
    Eine Viertelstunde später war er auf der Autobahn in Richtung Allgäu und in Gedanken gerade bei Susanna, als sein Handy klingelte, aber es war nicht Susanna, wie er als ein Zeichen von Gedankenübertragung gehofft hatte. Es war Kommissar Moosmann aus Berlin.
    »Ihr Schützling wollte Sie noch sprechen, bevor wir sie in die Sommerfrische schicken.«
    »Also, mit dem Schützling meinen Sie vermutlich Frau Drugajew«, kombinierte Walcher, »aber was ich unter Sommerfrische zu verstehen habe, da müssen Sie mir helfen.«
    »So nennen wir unser Zeugenschutzprogramm«, erklärte der Kommissar und hatte den Hörer an Jeswita Drugajew weitergegeben, denn ihre Stimme klang aufgeregt aus dem Handy. »Ich in Schutz … niech wisse Name … morgen und niech wisse,

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