Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
auch wenn er falsche Daten angab. Sollte doch Brunner nachrecherchieren, der verfügte personell wie technisch über den nötigen Apparat.
Später am Vormittag bekam Walcher die seltene Chance, ungewöhnliche Fotos zu schießen, als Bärendrecks Stunde der Wahrheit schlug. Doro und die Kinder steckten ihn nämlich in ein Schaumbad und schrubbten ihn ordentlich ab. Bärendreck war wirklich ein außergewöhnlicher Kater, denn er ließ das ganze Prozedere ohne Gegenwehr über sich ergehen, zeigte allerdings unmittelbar danach, was er davon hielt. Kaum abgetrocknet, suchte er sich die staubigste Stelle auf dem Hof, wälzte sich ausgiebig darin und stolzierte gemütlich davon, vermutlich auf der Suche nach einer frisch gegüllten Wiese. Auch Rolli wollte unbedingt in die Wanne und spielte den Kinderclown. Am Ende waren alle durchnässt und hatten Lachtränen in den Augen.
Nachmittags fuhr Walcher mit den Kindern zum Friedhof. Irmi wollte ihren neuen Freundinnen die Gräber ihrer Eltern und ihrer Patentante Lisa zeigen. Sie hatte irgendwo gelesen, dass in Asien durch die gemeinsame Ehrung der Toten eine Freundschaft besonderes Gewicht erhielt. Außerdem jährte sich bald Lisas Todestag, und Irmi wollte deshalb nach dem Grab sehen, obwohl sie und die Großeltern regelmäßig die Gräber pflegten.
Doro entschied sich, mit Rolli und Bärendreck auf dem Hof zu bleiben. Sie würde auf Friedhöfen immer furchtbar traurig, meinte sie, und außerdem konnte man den Polizisten ja nicht zumuten, ein leeres Haus zu bewachen.
Rodica IV
Sie schreckte hoch, schlug mit dem Kopf gegen den Boden der Koje über sich und sank wieder zurück. Sie kniff die Augen fest zusammen und vermied es, sich zu vergewissern, wo sie sich befand. Wie auf einem Pferdewagen ruckelte sie hin und her. Die Luft war beinahe zu heiß zum Atmen und stank nach Erbrochenem. Von oben tropfte etwas auf ihre Hand herab. Vorsichtig öffnete sie erst ein Auge, dann auch das andere, aber es gab überhaupt nichts zu sehen. Schwarz, sonst nichts. Kein noch so winziger Lichtstrahl. Der Lastwagen, die Männer, die Luke, erinnerte sie sich.
Eine Weile lang dämmerte sie weiter vor sich hin, dachte an ihre Brüder, die Mutter, an die Schwester und an den Vater, an ihr Dorf. Die Gedanken daran ließen in ihr ein wenig die Sonne erstrahlen. Irgendwann würde sie wieder dort sein und im Garten Unkraut jäten und das Geschirr abwaschen, über die staubige Dorfstraße rennen oder im Regen durch Schlamm waten, bis der Matsch zwischen den Zehen hervorquoll. Sie lächelte im Schlaf, der sie aus der grausamen Wirklichkeit erlöste.
Aber dann rüttelten grobe Männerhände Rodica wach und holten sie zurück in diese Welt. Wie ein Paket wurde sie aus ihrer Koje gezerrt und die Luke hinabgelassen, wo andere Hände sie in Empfang nahmen. Nur der schwache Lichtschein, der aus der Luke drang, erhellte die Nacht ein wenig. Eine Stimme rief etwas, aber Rodica verstand die Sprache nicht. Die Stimme rief noch einmal etwas, dann packte eine Hand sie am Arm und zog sie unter dem Lastwagen hervor. Wieder hörte sie etwas, und wieder verstand sie nicht, verstand nicht, dass sie gemeint war.
Neben dem Lkw stand ein Lieferwagen. Dorthin zerrte sie die Hand und stieß sie grob auf die Sitzbank. Kurz darauf folgte Valeska. Rodica erkannte sie an dem leisen Wimmern.
Wenigstens war nun die Luft frisch und angenehm kühl.
Eines nach dem anderen wurden auch die übrigen Mädchen in den Wagen gestoßen, dann schlug die Tür zu, und weiter ging die Fahrt durch die Nacht.
Freiheitsträume
Walcher hatte Johannes angerufen und sich nach Jeswita Drugajew erkundigt. Eine Stunde später rief nicht Johannes, sondern Marianne zurück, denn sie hielt den Kontakt zu Drugajews Sozialarbeiterin.
»Drugajew befindet sich nicht mehr in dem Heim«, erklärte sie, »ich hab das auch erst gerade von meiner Freundin erfahren. Zwei Tage nach eurem Gespräch ist Jeswita verschwunden, samt der neuen Tasche und den paar Klamotten, die sie sich von dem Überbrückungsgeld gekauft hatte.« Marianne klang deprimiert. »Es sieht so aus, als wäre sie nicht freiwillig gegangen.«
Obwohl es warm war, spürte Walcher, wie sich auf seinem Rücken ein Kältegefühl ausbreitete und sein Puls beschleunigte. Er sah die junge Russin vor sich, wie sie aus ihrem Leben erzählt hatte und wie sehr sie nur eines von ihrer Zukunft erhoffte, nämlich frei zu sein.
»Gibt es irgendwelche Hinweise?«, flüsterte er in den Hörer und
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