Falkenjagd
Stockwerk. Sie zog ihre mit
Gänseblümchen bestickten Pantoffeln aus und trug sie in der Hand, damit
die Dielen nicht zu sehr knarrten. Als sie die kleinen Schreie der
Markgräfin hörte, die wie Murmeln unter dem Türspalt des Gästezimmers
hervorkullerten, huschte sie glücklich lächelnd davon. Selbstbewusst
befahl das Fräulein von Crailsheim dem Hofmeister, das Souper mit zwölf
Speisen pro Gang komplett ausfallen zu lassen.
»Was genau habt Ihr gemeint, als Ihr sagtet,
von den Schlössern in Versailles und Fontainebleau bröckelte der Putz
und die Gärten verkommen?«, fragte Friederike. Sie lag mit ihrem Kopf
auf seinem Bauch und sah zu, wie seine Hand die Flut zwischen ihren
Beinen trocknete. Karl Heinrich von Gleichen zögerte. Er fühlte sich
himmlisch matt, aber gerade ihr wollte er eine ehrliche Antwort nicht
schuldig bleiben.
»Habt Ihr nicht von den Hungersnöten gehört, die in Frankreich
herrschen? Von den zerlumpten Bauern, die ihre Kinder zum Kauf anbieten
und Wurzeln ausgraben, damit sie den nächsten Tag überstehen? Die
Verarmung breitet sich rasant aus, der Staat steht vor dem Bankrott.
Der König hat alles verprasst mit seinen Mätressen, Höflingen und
Schmeichlern. Die Pfaffen huren und schlemmen, und die gerissenen
Jesuiten lassen jeden bespitzeln, der eigenständig denkt. Es stinkt zum
Himmel.«
Während seine rechte Hand zu ihrem Busen hochwanderte,
schilderte er ihr das ganze Ausmaß des französischen Elends.
»Der Adel kümmert sich längst nicht mehr um seine Besitzungen
und deren Gedeihen, sondern presst aus ihnen alles heraus, um sich in
Versailles mit leerem Geschwätz und Narreteien zu übertrumpfen.«
»Aber die Ideen der Vernunft?«, fragte Friederike kleinlaut.
Sie war eingeschüchtert von all dem Unfasslichen, das sie zu hören
bekam.
Er lachte über ihre Naivität.
»Ach du liebe Zeit, die Vernunft. Eine Erfindung, ein
Spielzeug, mehr nicht. Die Adeligen haben sich ihrer bedient wie einer
neu kreierten Rolle im Hoftheater. Mancher Herzog hat sich dabei aus
Spaß auch als Demokrat kostümiert. Mittlerweile aber ist die Vernunft
entwischt, in die Gossen und Bürgerhäuser. Das will man weiß Gott
nicht. Die Kirche hat die Gefahr als Erstes erkannt und fürchtet die
Vernunft wie den Teufel. Jetzt tun die Pfaffen alles, damit der König
die Vernunft exkommuniziert.«
»Aber seit dem Erdbeben von Lissabon genau vor einem Jahr, als
die Erde noch bei uns in Franken zitterte und in Frankreich sicherlich
auch, fing man doch an, darüber nachzudenken, warum gerade in einer der
frömmsten katholischen Städte neunzigtausend Menschen umkamen und fast
alle Kirchen einstürzten, das Viertel der Prostituierten aber
unversehrt blieb. Da muss doch auch der König gemerkt haben, dass seine
Priester nicht die Besitzer der letzten Weisheit sind und die Vernunft
nicht kleinreden können. Er muss doch verstehen, dass das Land gerade
jetzt aufgeklärte Geister braucht!«
»Friederike, das ist ihm vielleicht schlichtweg egal. Ihn
interessieren nur seine Mätresse und seine Feste.«
»Er bräuchte bessere ökonomische Berater.«
»Ganz gewiss! Die würden ihm als Erstes das grenzenlose
Schuldenmachen verbieten. Gerade deshalb will Louis XV. sie nicht. Auch
sein Onkel, der Regent, wandte sich lieber an einen schottischen
Scharlatan namens Law, der ihm unbegrenzte Geldströme versprach. Der
ließ auch prompt hübsches Papiergeld drucken, das aber bald durch
nichts mehr gedeckt wurde als durch seine eigene List. Die Leute
konnten sich mit den Geldlappen allenfalls noch den Arsch abwischen.«
Friederike rümpfte über seine letzte Bemerkung nicht einmal
die Nase, so aufgewühlt war sie.
»Aber es gibt doch am Hof so viele Leute mit Bildung und
Verstand, auch Madame de Pompadour soll eine brillante …«
Wieder fiel ihr junger Liebhaber ihr ins Wort.
»Natürlich gibt es die. In Paris. In Versailles selbst ist
alles erstarrt. Die besten Franzosen hungern nach Veränderungen. Herren
und Damen von Adel treffen sich seit geraumer Zeit mit Menschen des
dritten Standes und sprechen ganz leger über die neuesten Bücher,
Theaterstücke und Erkenntnisse der Wissenschaften. Aus diesem
intelligenten Zeitvertreib wird Tag für Tag mehr. Manche möchten ernst
machen und das Land und seine Ordnung umkrempeln. Gedankenfreiheit,
Menschenrechte und Brüderlichkeit, verstehen Sie?«, fragte er und sah
sie fast flehentlich an. »Aber das ist kein glattes Parkett mehr«, fuhr
er fort, »auf dem man sich
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