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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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der
körperlichen Verausgabung ziemlich mitgenommen war, lächelte die Frau
gequält an, deren Zähne zugegebenermaßen etwas krumm waren, die er aber
sehnsüchtiger begehrte als jede der reizenden Kammerzofen oder
raffinierten Pariser Ehefrauen, mit denen er bislang das Bett geteilt
hatte.
    »Ach, Friederike, Erbarmen, ich bin viel zu sehr damit
beschäftigt, eine Enzyklopädie Ihrer wunderbaren Natur, Ihrer Schenkel,
Ihres Schoßes zu erstellen …«
    »Lassen Sie mich doch nicht so nackt zurück, wenn Sie gehen.«
    Ein Ast knackte. Der Abschied und der Schmerz standen auf
einmal wie ein gut gedrillter preußischer Offizier mit aufgepflanztem
Bajonett zwischen ihnen.
    Um diesen Feind wenigstens noch für ein paar Stunden zu
vertreiben, fing von Gleichen an, schnell und sachlich zu erklären:
»Weil die Jesuiten schließlich draufkamen, dass sich ihr Feind wie der
Teufel im Detail versteckt, hinter feinen Anspielungen und scheinbar
harmlosen Begriffen. Unter dem kleinen Wort duc zum Beispiel findet sich in der Enzyklopädie zuerst ein
Eintrag über eine seltsame Eule dieses Namens, die jedes Mäuslein
schlägt und frisst. Dann gleich einer über den Adelsstand. Der Absatz
zu abeille behandelt die
Arbeiterbienen, die durch ihren Fleiß ein ganzes Volk am Leben
erhalten, und gleichzeitig wird der Mord an den schmarotzenden Drohnen
begrüßt. An Stellen also, wo niemand die Auseinandersetzung über
Gerechtigkeit, Gleichheit oder Freiheit vermutet, werden die Argumente
in Harmlosigkeiten verpackt wie Bonbons in buntes Papier. Der
eingeweihte Leser versteht bald das System. So geschickt und listig
also agiert der intellektuelle Widerstand unter Louis XV. Da ist es nur
natürlich, dass die Geheimpolizei jetzt weiße Seiten will.«
    »Aber dann bliebe die Enzyklopädie ein Fragment, ein
Verlust …«
    »Was wird, ist im Moment schwer abzusehen. Einerseits hat sich
der Ruhm der Enzyklopädisten schon bis nach Sibirien und in die
Kolonien Nordamerikas herumgesprochen. Andererseits sind
Wissenschaftler keine Helden. Auch ein Diderot duckt sich, wenn ihm die
Bastille droht. Das Letzte, was mir Baron Grimm geschrieben hat, war,
dass im Moment nur Jaucourt, zäh wie die Calvinisten nun mal sind, an
der Sache dranbleibt und wie eine Maschine vier Artikel pro Tag
ausspuckt.«
    »Sie meinen also, man bleibt trotz Verbot nicht bei dem
Buchstaben G stehen, und auf den siebten folgt noch ein achter Band?«
    Karl Heinrich von Gleichen nahm die Frau, deren Haar seit
einer Woche nicht gebrannt und gewickelt worden war und jetzt in langen
blonden Locken, in die sich ein paar graue Strähnen mischten, auf ihre
Schultern hing, in seine Arme. Er drückte seine Lippen auf ihre
geschlossenen Augenlider.
    »Ich bete dafür. Weil Europa sonst wieder in die geistige
Dunkelheit zurückfällt. Außerdem, Friederike, bedeutet jeder neue Band
ein festes Glied in der Kette, die uns verbindet. Vergessen Sie das
nie. Ich meinerseits werde nie das Glück vergessen, das ich nicht
zwischen Buchdeckeln, sondern zwischen ihren Beinen gefunden habe.«
    Am nächsten Morgen um fünf Uhr verließ Karl
Heinrich von Gleichen das Schwaninger Schloss. Niemand sah zu oder
grüßte zum Abschied, als er bei Dunkelheit in die Kutsche stieg und
sein Bursche vorne beim Kutscher aufhockte.
    Drei Stunden später schrieb Friederike an
Daniel Israel. Der Sohn Mosche Israels und Neffe des verstorbenen
Ansbacher Hoffaktors Low Israel erledigte jetzt in Paris alle Einkäufe
für das markgräfliche Haus. Sie gab ihm den eiligen Auftrag,
unverzüglich in ihrem Namen die Enzyklopädie zu subskribieren. Außerdem
sollte er dem Chevalier Louis de Jaucourt eine großzügige Summe
anweisen, damit der in aller Stille und ohne Not seine Arbeit
fortzusetzen vermochte.
    »Meine Ochsen gegen die nächsten Bände der Revolution«,
spottete Friederike müde und ließ sich von Caroline ihr Siegel und das
Wachs bringen.
    Als der Brief auf dem Weg war, legte sie sich wieder ins Bett.
Für viele Tage, die sie nicht zählte, wühlte und suchte sie seinen
Geruch zwischen den von Samen und Schweiß befleckten Laken und Kissen.
Sie roch an der Innenseite ihrer Schenkel, in ihrem Schoß und in ihrem
losen Haar, um noch etwas von ihm zu finden und für den Rest ihres
Lebens zu retten. Sie summte lange Gespräche mit ihm vor sich hin,
wechselte von unruhigem Schlaf in starre Tagträume und berauschte sich
an den Sekunden, in denen sie ihn wieder neben und in sich zu spüren
glaubte.
    Bis irgendwann

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