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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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trotzdem schmerzte ihr auf einmal der Schoß,
und ihr Atem ging unruhig. Plötzlich fühlte sie sich dem königlichen
Bruder nahe, so wenig sie ihn mochte. Ihre Einsamkeit war immer auch
ein wenig die seine gewesen. Seine Kriege und ihre Kriege waren sich am
Ende vielleicht nicht unähnlich. Aber dann hörte sie wieder seine
messerscharfe Stimme in den Ohren.
    »Meine Schwester ist zur ökonomischen Hure verkommen, die
Verkehr mit englischen Pfeffersäcken pflegt und Krautjunkern jedes
Schaf und jedes Schwein anbietet, das sie hat. Schamlos wollte sie in
Preußen der Sektion eines Menschen zuschauen und den Beweis führen,
dass sie den Verstand verloren hat. Das konnte ich noch verhindern.
Aber ich sehe schon auf mich zukommen, dass sie auch noch mit den
Österreichern Geschäfte macht. Und Ansbach will sie mir partout nicht
verschaffen, dieses Hurenweib.« Diese Worte hatte er erst kürzlich dem
Bruder Heinrich ins Gesicht geschrien, der selbst doch genug unter dem
Hass des Bruders zu leiden hatte.
    Zornig rief sie einen Diener herbei und befahl ihm barsch:
»Bring er mir den Brustkorb von einem frisch geschlachteten Schwein in
mein Experimentierzimmer. Aber hör er, dass es ja noch warm ist!«
    Es war ihr inzwischen egal, dass die Lakaien ahnten, dass die
Innereien gar nicht für ihre Schoßhunde bestimmt waren. Sie nahm all
ihre Kraft zusammen und ging in das kleine Zimmer, das sie mit einem
langen, sauber gescheuerten Holztisch für ihre Forschungen hatte
ausstatten lassen. Als sie das fahle, ausgeblutete Fleisch vor sich
sah, ließ ihre Nervosität nach. Sie griff nach den bereitliegenden
feinen Messern und trennte schnell und geübt Haut- und Fettschichten
ab. Dann vermaß sie die Präparate und notierte wie immer ihre
Ergebnisse in ein kleines Buch. Nur das, was man sah, zählen und
beschreiben konnte, galt. Das, nur das, würde Bestand haben. Friederike
atmete wieder gleichmäßig und ruhig.
    Am dritten Tag seines Aufenthalts passte
Herr von Gleichen die Markgräfin und ihre Damen beim morgendlichen
Spaziergang ab. Er gab vor, in das Buch vertieft zu sein, in dessen
Seiten seine Finger verkrampft waren. Die kleine plaudernde Gruppe mit
Caroline von Crailsheim tänzelnd an der Spitze war schon von Weitem zu
hören. Er tat, als wäre er überrascht worden, schaute hoch und reichte
der Markgräfin unaufgefordert sein Buch.
    »Lassen Sie sehen, aha, die Lettres d'une Péruvienne , sehr gewagt. Haben Sie diese Lektüre auch meiner Schwester
als Ablenkung vorgelesen, während sie über die scheußlichen Alpen
rumpelten?«
    Friederike reichte ihm das Buch zurück und genoss es, den
jungen Mann zum ersten Mal verlegen zu sehen. Noch immer fiel ihr nicht
ein, an wen er sie erinnerte, wie er so dastand, mit seinen runden
nussbraunen Augen und dunklen Haaren, die sein Bursche heute mehr
schlecht als recht gepudert hatte.
    »Die Alpen mögen rohe, gewaltige Natur sein, aber ich habe die
Markgräfin davon überzeugen können, dass sie während der Fahrt nicht
die Vorhänge zuzog. Die Natur, gerade so, wie sie ist, rein und
ursprünglich, kann unser allerbester Lehrmeister sein, um aus uns
empfindsame Menschen zu machen.«
    »Ich bezweifle, dass Empfindsamkeit eine erstrebenswerte und
vor allem nützliche Tugend ist. Sie verwirrt nur unsere fünf Sinne.
Allein die Vernunft ist unbestechlich. Außerdem scheint es mir
umgekehrt zu funktionieren: Die menschliche Fähigkeit, Seele
einzuhauchen, zeigt sich neben der Kunst und der Musik gerade in der
gestalteten Natur. Meine Schwester hat es auf diesem Gebiet zur
Meisterschaft gebracht. Ihre Wasserfälle, Seen, Grotten,
Einsiedeleien – ganz Deutschland schwärmt davon …«
    Friederike wusste nicht mehr weiter und scharrte mit ihrer
Schuhspitze im Kies. Sie fand sein von der Kälte und Begeisterung
gerötetes Gesicht so entzückend, dass sie sich zwang, ihren Blick auf
einen braunen Stein zu konzentrieren.
    »Aber wenn wir an Gottes Schöpfung als Sinnbild seiner
Allmacht glauben, dann müsste diese Schöpfung an sich in ihrer reinen
Unschuld doch ausreichen, um uns für alle Zeiten ehrfürchtig zu machen.
Wenn nicht, wird daraus leicht so etwas wie die Kirche der Pfaffen aus
dem christlichen Glauben.«
    Karl Heinrich von Gleichen duckte sich, als hätte er etwas in
einer Hecke entdeckt. Er wusste, dass das, was er eben gesagt hatte,
ein Skandal war. Außer Caroline von Crailsheim verstand jedoch niemand
aus Friederikes kleinem Trupp die Provokation. Das Freifräulein,

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