Falkenjagd
heute Morgen mit Gefolge losgeritten war, um den König und Schwager
in Wicklesgreuth offiziell zu begrüßen, setzte zum ersten Mal wässriger
Durchfall ein. Am schlimmsten war es gewesen, als der König den
Markgrafen einlud, sich zu ihm in die mit acht Postpferden bespannte
Kutsche zu setzen. Eine Ehre, eine große Ehre, beide wussten es.
Gegenüber dem Bayreuther Schwager hatte es eine solche huldvolle und
zugleich intime Geste nicht gegeben. Kalter Schweiß staute sich in
Charles Nacken, in seinem Bauch grummelte es. Der König redete
unentwegt von Truppenaushebungen. Kurz bevor er sich entsetzlich
blamierte, riss Charles den Wagenschlag auf, sprang aus der fahrenden
Kutsche und hastete, schon mehr in der Hocke als aufrecht, hinter einen
Busch. Als der Markgraf bleich zurückkam, tat der König, als wäre
nichts geschehen, und fragte auch nicht nach. Aber für den Rest der
Fahrt spitzte er genüsslich die Lippen und lächelte sogar gelegentlich.
Jetzt war er sich sicher. Den Ansbacher würde er bei dem, was er
vorhatte, schnell einsacken können. Er hatte einen sicheren Blick für
die Angst anderer.
Eine Kompanie Grenadiere stand auf dem
Schlossplatz. Nachmittags um drei konnten endlich Fahnen geschwenkt,
Signale geblasen und Salut geschossen werden. Die Kutsche hielt erst im
Vestibül, wo die Markgräfin mit ihren Damen, sämtliche Minister und
Kavaliere warteten. Ein Empfang, wie es ihn seit zehn Jahren nicht mehr
gegeben hatte. Als die Lakaien unter Bücklingen die Türen öffneten,
wehten aus der Kutsche unangenehme Düfte, und Friedrich flüsterte
seiner Schwester bei der ersten Umarmung zu: »Seine Blähungen sollte
ich bei der nächsten Schlacht einsetzen. Die Geheimwaffe schlechthin,
meine Liebste.«
Sie stutzte zuerst, raunte dann aber: »Sie könnten damit
wahrscheinlich die ganze Wiener Hofburg ausräuchern und die Habsburger
Bagage verjagen. Oder welche Pläne haben Sie sonst mit Maria Theresia?«
Sein Lächeln verschwand augenblicklich. Laut sagte er für die
Umstehenden: »Sie, liebste Schwester, gesund wiederzusehen ist eine
große Freude für mich.«
Dann wandte er sich auch schon ab und überfiel den Markgrafen
mit Fragen zu den Ansbacher Regimentern, die er sich allesamt anschauen
wollte. Er hasste Friederikes Direktheit. Damit hatte sie schon als
Kind alle in Verwirrung gebracht. Sie verstellte sich nie so wie er und
Wilhelmine. Als Schauspielerin war sie miserabel, im Gegensatz zu ihm,
der dem Vater zum Schluss den größten Mist ins Gesicht gelogen hatte,
nur um ein bisschen mehr Freiheit für sich herauszuholen. Friederike
blieb ernst und aufrichtig wie ein preußischer Soldat. Auch wenn sie
wusste, dass sie damit den Vater erzürnte. Komischerweise hatte der sie
trotzdem lieber gemocht als seine anderen Töchter und sich später
geschämt, dass er sein Ickerle so unglücklich verheiratet hatte.
Vor allem aber mochte Friedrich nicht, dass sich die Ansbacher
über seine politischen Pläne den Kopf zerbrachen. Die sollten dankbar
sein, wenn etwas von Preußens Erfolg auf sie abfiel. Wie er sich Wien
gegenüber klug verhalten sollte, war ihm außerdem im Moment auch nicht
ganz klar.
Das erste gemeinsame Abendessen verlief so
öd und provinziell, wie er es erwartet hatte. Wenigstens wurde sein
Wunsch befolgt und auf großes Zeremoniell verzichtet. Dieser
rückständige Schnickschnack, mit dem Zeit und Geld vergeudet wurden,
hing ihm zum Hals heraus. Viele verschiedene Speisen gleichzeitig auf
der Tafel widerten ihn an. Der Schwager hatte genug Schulden am Hals,
wahrscheinlich würde er ihn sowieso gleich anpumpen wollen, so wie er
es beim Alten immer gemacht hatte. Aber er musste diesen Idioten noch
ein bisschen bei der Stange halten.
Endlich sah er ihn, vier Tische weiter,
zumindest seinen Rücken, und der war besser als nichts. Schon den
ganzen Abend über hatte er ihn mit den Augen gesucht. Der König lehnte
sich schräg zur Seite, so dass er halb auf seiner Schwester ruhte.
Jetzt konnte er sogar sein Profil erkennen. Die dichten schwarzen
Augenbrauen, die sich so lebhaft von seinem Gesicht abhoben und auf und
ab hüpften, wenn er sprach. Und er sprach fast immer. Friedrich
wünschte so sehr, sie könnten für einen Moment einen Blick wechseln.
Aber de Villepin plauderte viel zu angeregt mit einer jungen Dame, die
beim Lachen ihren Mund weit öffnete. Gerade das aber schien dem
Offizier, wie der König an einer schmerzhaften Zuckung seines eigenen
Herzens feststellte, zu gefallen.
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