Falkenjagd
andere es noch taten? Liebte Alexander ihn
aufrichtig? Oder kam er mehr nach seiner Mutter, die sich für etwas
Besseres hielt? Was sie da mit den Kartoffeln vorhatte, bewahre Gott,
die Leute würden sie in hohem Bogen wieder ausspucken! Außerdem hatte
ihm Doktor Treu gesagt, es sei bewiesen, dass der Verzehr von
Kartoffeln schwachsinnig, auf jeden Fall aber in höchstem Grade
melancholisch machte.
Die Fensterläden und Scheiben des Schlosses blieben jetzt den
ganzen Tag über geschlossen, aber der trockene Wind trieb trotzdem Sand
durch die Ritzen. Charles sorgte sich sehr um seine Falken und schickte
täglich Depeschen nach Triesdorf, dass man den Vögeln auf jeden Fall
genug Wasser zum Baden hinstellen solle. Seit vielen Wochen hatte er
nicht mehr gebeizt, und er war sich sicher, dass er sich auch deshalb
so elend fühlte. Zu lange schon hatte er keinen Falken mehr
pfeilschnell über den Himmel fliegen sehen und ihn auf seinen Flügen
begleiten können.
Ischerlein wurde schließlich doch
einbestellt. Heistermann hatte immer wieder darauf gedrängt. Alle
Adeligen, die wie immer auf den Gängen und in den Vorzimmern
herumstanden, grüßten, als der mächtige Hofbankier hereinrauschte.
Daran war er inzwischen gewöhnt. Das gehörte dazu wie seine seidenen
Kleider und seine französische Perücke. Dann grüßte ihn aber auch der
Zwerg mit einem breiten Grinsen. Noch bevor er zum Markgrafen
hineinging, ahnte Ischerlein, dass irgendetwas faul war.
Als er wieder hinausging, war er es, der Heistermann
überschwänglich grüßte, den Dreispitz schwenkte und spöttisch sagte:
»Was, mein lieber Herr Geheimer Rat, ist schon so ein bisschen Zwicken
und Zwacken im Schwanz Seiner Hochfürstlichen Durchlaucht gegen Wechsel
im Wert von fast zwei Millionen Gulden Schulden in meiner Hand?«
Heistermann wurde blass und konnte nur noch herauspressen:
»Wir sehen Sie also wieder, Herr Hoffaktor?«
»Ganz gewiss, mein Lieber, ganz gewiss noch oft.«
Anfang August befahl Friederike, die
Kartoffelpflanzen auszugraben. Die Leute stellten sich zuerst sehr dumm
an. Niemand wusste, was er machen sollte. Das hatte der holländische
Lieferant der Saatkartoffeln nicht geschrieben. Gott sei Dank kannte
Kersmackers einen alten, ehemaligen Falkner, der zusammen mit seinem
Vater aus Flandern in den Dienst des Ansbacher Markgrafen gekommen war.
Frans Verhaagen, so bucklig und dünnstimmig er war, erinnerte sich noch
daran, was eine gute Kartoffel war. Im Beisein der Markgräfin sank er
auf die Knie nieder und rupfte ein paar der verkrusteten Knollen ab. Er
putzte die Erde weg, bis man die blaue Schale und Hörnchenform erkennen
konnte. Dann erklärte er dem Verwalter, der sich ganz nahe an den Mund
des Alten beugen musste, dass man Kartoffeln auf jeden Fall dunkel und
frostgeschützt einlagern müsse.
Die Markgräfin nahm Verhaagen mit ins Schloss und bat ihn, ihr
und den Köchen genau zu zeigen, wie man Kartoffeln so zubereitete, dass
sie für Mensch und Tier genießbar wurden. Tiegel wurden aufgesetzt,
Wasser zum Kochen gebracht, Butter erhitzt und geschwenkt,
Auflaufformen eingefettet und Gewürze gerichtet. Obwohl es Verhaagen
Mühe machte, lange zu stehen, blieb er die ganze Zeit neben dem Herd
und stach immer wieder mit einer Gabel in eine der im Wasser tanzenden
Kartoffeln. Schließlich war sie seiner Meinung nach weich genug, und er
spießte sie heraus, bestreute sie mit Salz und tauchte sie tief in ein
Stück Butter. Mit geschlossenen Augen und so genussvoll, dass ihm die
Butter aus den Mundwinkeln rann, aß er die erste Kartoffel. Dann
kostete die Markgräfin.
»Köstlich«, befand sie.
»Köstlich«, befanden auch Caroline, der Bürgermeister, der
Pfarrer und der Verwalter und ließen sich weitere Kartoffeln servieren.
Als im Dorf das Mehl knapp wurde und
schließlich ausging, ließ Friederike ihre Keller öffnen und die
Kartoffeln in Körben an die einzelnen Familien und Häuser verteilen.
Sie schickte Lakaien mit, die den Leuten zeigten, wie man sie kochte.
Nur die Hofdamen weigerten sich, die neue Nachtschattenfrucht zu
probieren.
»Sie soll ja nicht nur Schwachsinn verursachen, sondern auch
den Geschlechtstrieb steigern«, sagte Frau von Kleist beim
Silvesteressen.
»Wie wunderbar«, erwiderte Caroline und bedeutete dem Pagen,
ihr noch etwas von den mit Käse überbackenen Kartoffeln aufzulegen.
Friederike musste laut lachen. Dann hob sie ihr Glas und
prostete ihrem kleinen Hofstaat zu.
»Der Bürgermeister und der
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