Falkenjagd
Lebern und
Herzen bringen ließ. Sie musste vorsichtig sein. Die Fehler von früher
würde sie nicht wiederholen. Sie erinnerte sich noch gut daran, welche
Aufregungen es gegeben hatte, als sie vor über fünfzehn Jahren eine
gerade verstorbene Häuslerin in ihre Kutsche hatte einladen wollen. Die
Leute hatten fast einen Aufstand angezettelt. Nein, inzwischen bin ich
schlau genug, sagte sie sich. Was ich vorhabe, gilt bei Frauen immer
noch als Hexenwerk. Draußen in der Welt, an allen Universitäten, wird
untersucht und geforscht, aufgeschnitten und destilliert. Männer
schreiben darüber Bücher und tauschen frei ihre Erkenntnisse aus. Die
Kirche hat sie zwar im Visier, aber wenn sie einem fortschrittlichen
Landesherrn dienen, lässt man sie gewähren. Eine Frau aber, Friederike
schüttelte missmutig den Kopf, eine Frau aber, selbst wenn es sich um
eine Markgräfin handelt, bringt sich in Gefahr, als Handlangerin des
Teufels dazustehen.
Entschlossen schnitt sie das Herz auf, das vor einer halben
Stunde noch in einem chinesischen Maskenschwein gezuckt hatte. Zum
wiederholten Mal schaute sie sich die vier Kammern an. Sie ließ ihre
Finger über die glitschigen Blutröhren gleiten, löste sie heraus und
drückte sie auf die Tischfläche. Mit ein wenig Druck gelang es ihr, sie
voneinander zu trennen. Sie musste noch üben, das war ihr klar. Sie
musste immer und immer wieder saubere Querschnitte machen. Das Herz
eines Schweins mit dem eines Kaninchens oder eines Schafs vergleichen.
Ihre Hände und Augen mussten noch schneller und sicherer werden. Bis
sie im Schlaf hantieren und im Dunkeln die Anordnung der einzelnen
Organe in einem geöffneten Körper erkennen konnte. Wo lag die Galle,
die Milz, die Lunge? Das Prinzip, dieses herrliche mechanische Prinzip,
fand sich überall. Das wusste sie inzwischen. Egal, ob es sich um ein
nacktes oder behaartes, ein männliches oder weibliches Tier handelte.
Immer öfter fragte sie sich, was sie wohl in einem Menschen entdecken
würde. Der, auch wenn er aufrecht ging, von seiner Physiognomie her
einem vierfüßigen Tier nicht unähnlich war.
Viele Wochen arbeitete Friederike fleißig in ihrem
Studierzimmer. Auch als die Frühlingssonne und die Vogelstimmen durch
das geschlossene Fenster drangen, ließ sie sich nicht ablenken.
Eigenhändig wischte sie nach jedem Experiment die Blutspuren fort und
brachte heimlich die Fleischreste weg. Ihr Spaniel schaffte es schon
längst nicht mehr, alles aufzufressen. Die Schwaninger Bauern wunderten
sich, dass ihre Markgräfin, jetzt, da die Tage länger wurden und das
Gras, die Gänseblümchen, der Löwenzahn und bald auch schon das
Wiesenschaumkraut aus dem Boden schossen, nicht mehr querfeldein
marschierte wie im vergangenen Sommer. Es sollte ihnen recht sein, dann
brauchten sie keine Leute mehr von der Arbeit abzuziehen und als Wachen
aufzustellen. Aber komisch war es schon. Was trieb sie bloß?
Das fragte man sich auch in Ansbach.
Heistermann, dem es immer langweiliger wurde, seit es mit der
Gesundheit und dem Elan des Markgrafen bergab ging, vermisste die
Markgräfin regelrecht. Was war ein Hof ohne Fürstin? Gegen wen sollte
er intrigieren? Früher war viel mehr gefeiert, gesoffen und gehurt
worden. Auch der Zwerg fühlte sich plötzlich alt und müde.
Vor allem aber wunderte sich der junge
Seckendorff, dass die Markgräfin seinem persönlichen Plan, den
Erbprinzen mit seinen nunmehr zwölf Jahren auf Studienreise nach
Utrecht zu schicken, so sang- und klanglos zugestimmt hatte. Das
verwunderte, ja beunruhigte ihn fast. Versailles, Potsdam, Wien, London
wären zweifelsohne für einen Prinzen mit königlicher Verwandtschaft die
erste Wahl gewesen. Warum ließ diese merkwürdige Person, die sich seit
Jahren in Schwaningen wie eine Nonne verkroch und dort die
merkwürdigsten Sachen anstellte, ihn gewähren? Wusste sie nicht, dass
er auf der geheimen Gehaltsliste Wiens stand? Der Freiherr zupfte an
seiner langen dünnen Nase, während er die neuesten Depeschen des
englischen Premierministers las. Sie waren also einverstanden.
Seckendorff nickte. Sein Projekt gedieh. Wenn nur der Markgraf so lange
durchhielt und nicht, kurzatmig und fett, wie er war, im Bett seiner
Georgenthaler Madame oder einer anderen Schlampe krepierte. Vorher
musste er noch alles so drehen und zurechtbiegen, damit er, Christoph
Ludwig von Seckendorff-Aberdar, bis zur Volljährigkeit des Prinzen
ungestört in Ansbach Politik machen konnte.
Fieberhaft wurde in den
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