Falkenmagie
anzunehmen war. Sie war stets Opfer ihrer Scherze. Aus solchen Dummheiten hielt sich Matteo meistens raus. Zu kindisch.
Ein paar andere Mitschüler lümmelten auf ihren Plätzen, hörten iPod, simsten oder spielten Games am Handy. Der Rest der Bande umringte Jonas, der, großzügig wie immer, die Mathematikhausaufgabe weiterreichte.
Matteo schlenderte nach hinten in die letzte Reihe, nickte Albin zu, der mit glasigen Augen durch ihn hindurchstarrte – hatte er wieder gekifft? –, und sank auf seinen Stuhl. Geschafft. Das war noch mal gut gegangen.
Ehrenfels betrat hinter Kiril die Klasse und schloss die Tür mit einem wohldosierten Krachen. Die Fenster klapperten. Viel Aufsehen erregte er damit nicht, ein solcher Auftritt war sein Markenzeichen. Dabei hatte er es nicht nötig, sich auf diese Weise Gehör zu verschaffen – die Klasse respektierte ihn auch so.
Die Schüler begaben sich auf ihre Plätze, Ehrenfels stellte seine Tasche auf dem Lehrerpult ab. Er war groß und dürr und hatte eine Art Vogelgesicht: spitze, lange Nase, hohe Stirn, schmale Lippen. Und einen scharfen Blick, dem nichts entging. Keiner konnte ihn leiden. Er schaffte es mit wenigen Worten, einen Schüler zu erniedrigen. Jede Stunde hatte er jemand anderes auf dem Kieker. Heute war ganz offensichtlich Matteo dran.
»Danelli?« Ehrenfels kniff die Augen zusammen. »Wo ist er?«
Matteo hob die Hand. Ist er blind?
Alle wandten die Köpfe.
»Ist krank«, erklärte Jonas.
Hä? »Was redest du da für einen Quatsch«, murrte Matteo. Er mochte Jonas. Er war klug, sah gut aus und hatte immer einen witzigen Spruch auf Lager. Das hier war nicht sein Stil.
»Umso besser«, sagte Jenny aus der zweiten Reihe und wackelte affektiert mit dem Kopf. »Der wird uns nicht fehlen.«
Die Mädchenmeute gluckste vergnügt.
Matteo runzelte die Stirn. Gerade Jenny, die ihn ständig mit teetassengroßen Augen anhimmelte.
»Ja, der Italogockel kann uns gestohlen bleiben«, kicherte sie.
Matteo glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Was bildeten sich diese Weiber ein?
»Ruhe! Das reicht!«, rief Ehrenfels, doch es verhallte ungehört. So manche Anschuldigung fiel noch. Und so manches Schimpfwort.
Matteo war aufgestanden. Das Blut war ihm in den Kopf geschossen und irgendwie drückte sein Magen. Wie konnten sie es wagen! Derart über ihn zu reden! Dass sie ihn nicht besonders leiden konnten, wusste er sehr wohl, und im Grunde war es ihm auch herzlich egal, was sie von ihm hielten. Was ihn wirklich ankotzte war, dass sie ihn dabei wie Luft behandelten.
»Los!«, schrie er. »Los, sagt mir das noch einmal ins Gesicht! Na kommt schon! Oder traut ihr euch ni…?«
»Ruhe, oder es gibt eine Klassenverwarnung!«, donnerte Ehrenfels.
Matteo klappte den Mund zu, auch die anderen verstummten schlagartig. Eine Klassenverwarnung war übel. Gestrichene Schulausflüge, Hof- und Gangverbot, Sportplatzverbot. Das wollte keiner riskieren.
»Dass ihr euch nicht schämt, über einen Schüler, der nicht anwesend ist, so herzuziehen!«, fuhr Ehrenfels fort. »Danelli mag ein Ekel sein – schön. Dann habt den Mumm und sagt ihm, was ihr von ihm haltet. Persönlich, nicht hinter seinem Rücken. Ich wette, das bringt mehr. Und jetzt Schluss. Hefte und Bücher raus, Seite dreiundfünfzig.«
Die Klasse kam der Aufforderung nach, nur Matteo rührte sich nicht. Eine Ahnung krabbelte heiß durch seine Adern, fuhr ihm bis ins Hirn, doch er konnte nichts damit anfangen. Was hatte das zu bedeuten? Was meinte Ehrenfels mit »der nicht anwesend ist«?
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