Falkenmagie
bestehen. Zum Glück kann man sich das aber erschreiben - und so lebendig werden lassen.
Nicht genug bekommen?
Leseprobe aus
»Der Puls von Jandur«
Der Tag, an dem Matteo Danelli unsichtbar wurde, war ein Montag. An jedem anderen Tag wäre es sofort aufgefallen. Nicht an einem Montag.
Montags verließ seine Mutter Andrea die Wohnung für gewöhnlich im Morgengrauen und Brizio, sein Vater, war den ganzen Tag nicht ansprechbar. Er kam immer erst gegen Abend aus dem Bett gekrochen. Musste seinen Rausch ausschlafen. Was verständlich war nach einem durchzechten Wochenende, das Donnerstag um zwanzig Uhr begann und Sonntag gegen zwei Uhr morgens endete.
Und so kam niemand in Matteos Zimmer, um ihn zu ermahnen jetzt endlich aufzustehen.
Schlaftrunken würgte er das Läuten des Weckers ab und eine Stunde später schoss er erschrocken in die Höhe. Sieben Uhr vierzig. Shit! Montag – erste Stunde Mathematik bei Ehrenfels. Neun Verwarnungen hatte er bereits bei ihm kassiert. Mit der zehnten würde die Vorladung für die Eltern ins Haus schneien. Darauf konnte er gut verzichten.
Matteo sprang aus dem Bett und schlüpfte in die Kleidung vom Vortag: schwarze Jeans, dunkelblaues Shirt mit dem Aufdruck »No need for label«, schwarze Socken; zum Schluss die Jacke übergeworfen. Im Flur zwischen seinem Zimmer und dem Bad stolperte er über einen einzelnen Schuh seines Vaters. Also war er gestern wieder einmal ins Delirium gefallen.
Matteo kickte den Schuh beiseite, stürzte ins Bad und machte sofort wieder kehrt. Keine Zeit. Im Hinauseilen fuhr er sich mit allen Fingern durchs Haar. Er trug es halblang gestuft, ein unkomplizierter Schnitt, der obendrein cool aussah.
An der Wohnungstür klebte ein Zettel. »Anwalt 18 Uhr«, stand da in Andreas Handschrift zu lesen. Matteo fragte sich, ob die Nachricht wohl ihm oder dem Vater galt.
Eine Weile kramte er in den Untiefen seiner Jackentaschen nach dem Wohnungsschlüssel. Die Docs zu schnüren kostete ebenfalls eine Menge Zeit, und schließlich war es kurz vor acht, als die Tür hinter Matteo ins Schloss fiel.
Erst auf der Straße fiel ihm siedend heiß ein, dass er seine Tasche vergessen hatte. Sie lag in seinem Zimmer unter dem Schreibtisch. Und da würde sie auch bleiben, für eine Umkehr war es zu spät. Egal, heute würde er eben ohne Bücher auskommen müssen.
Zügig ging er los. Laufen kam nicht in Frage, er hatte ein Image zu wahren. Große, eilige Schritte fielen nicht weiter auf, sollte ihn jemand sehen.
Vor dem Schultor überholte ihn Kiril aus seiner Klasse. Mit offenen Schuhbändern, wehender Jacke und Strubbelfrisur. Wie üblich. Man musste sich fragen, ob er überhaupt wusste, wie man das Wort »Kamm« buchstabierte.
Kiril sah nicht einmal zur Seite, als er vorbeirannte, geschweige denn, dass er grüßte. Matteo grinste, das war typisch Kiril. Er lebte in seiner eigenen Welt. Sein Schachklub und sein Computer waren alles, was ihn interessierte.
Aus reiner Gewohnheit pfiff Matteo ihm hinterher. »Na, du Spinner! Wieder mal schachmatt gesetzt worden?«
Kiril gab keine Antwort, aber auch damit hatte Matteo gerechnet. Immerhin überhäufte er ihn täglich mit solchen Nettigkeiten. Ein hübsches Spiel, er liebte es.
In angemessenem Abstand stieg er hinter Kiril die Treppe hoch. Das käme gar nicht gut, wenn er gleichzeitig mit dem Loser die Klasse beträte. Man könnte noch denken, sie wären zusammen zur Schule gekommen.
Es war kühl im Treppenhaus. Das Gebäude des Gymnasiums war in den Fünfzigerjahren erbaut und seither nur einmal renoviert worden. Durch die Fensterritzen brauste im Herbst der Sturmwind, aus dem Gemäuer atmete die Vergangenheit. Zusammen mit dem Geruch von Putzmittel, Mandarinen und Pausenbrot machte das die markante Schulduftmischung, die wohl jeder Schüler auf ewig im Gedächtnis behält.
Auf den Gängen war es bereits still geworden, Matteo warf einen Blick auf die Schuluhr: drei nach acht. Nicht schlecht. Mit ein bisschen Glück konnte er es noch vor Ehrenfels in die Klasse schaffen.
Prompt lief Kiril dem Lehrer vor der Klassentür direkt in die Arme. Der ließ auch sofort ein Donnerwetter auf ihn niederhageln.
Blöd gelaufen, dachte Matteo und schlich an den beiden vorbei.
Im Klassenzimmer herrschte gelangweilte Montagmorgenstimmung.
Die Mädchen hatten sich an den Fenstern in zwei Gruppen zusammengerottet, quatschten und kicherten. Drei Jungen standen am Waschbecken und befüllten Wasserbomben. Für Frau Lenhardt, wie
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