Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
schulden und wäre vielleicht sogar bereit ihn zum Abendempfang mitzunehmen.
»Meister«, sagte er, »wenn Jungfer Calborth zu viel zu tun hat, könnte Euch doch meine Mutter helfen. Sie kann sehr gut nähen. Was muss gemacht werden?«
Calborth blickte unsicher zwischen Alduin und seiner Schwester hin und her. »Ich will nicht die Gutmütigkeit deiner Mutter ausnutzen«, sagte er zögernd.
»Aber sie hasst es, untätig zu sein. Sie würde sich gewiss sehr freuen, Euch helfen zu dürfen. Ich laufe gleich zu ihr und frage sie«, drängte Alduin.
Meister Calborth zuckte die Schultern. Wenn seine Schwester weiter so stur blieb, schien das tatsächlich die beste Lösung zu sein.
»In Ordnung. Ich hab ein wenig zugenommen, seit ich die Robe zum letzten Mal trug, deshalb müssen ein paar Nähte herausgelassen werden.« Er hielt Alduin die dunkelgrüne Samttunika hin. Auf der Vorderseite war sie mit einer v-förmigen, kunstvoll gewobenen Bordüre aus Goldbrokat verziert, die mit Motiven fliegender Falken bestickt war. Die Enden der Ärmel, der Kragen und der Saum waren mit Bändern aus goldenen, blauen, dunkel- und hellgrünen Stickereien abgesetzt.
»Sie sieht sehr eindrucksvoll aus«, bemerkte Alduin, dem erst jetzt klar wurde, dass er ohne entsprechende Kleidung wahrscheinlich keine Chance haben würde, eingelassen zu werden. Dennoch wollte er es versuchen.
»Meister Calborth, haltet Ihr es für möglich, dass ich auch zu dem Empfang gehen darf?«
Der Meister blickte ihn fragend an. »Wie kommst du denn darauf?«
Alduin suchte vergeblich nach einer plausiblen Begründung. »Ich weiß nicht genau ...«, gestand er schließlich zögernd. »Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich die Nebelsängerin unbedingt kennen lernen muss ...«, flüsterte er.
»Hmmm«, murmelte Meister Calborth und schaute ihn nachdenklich an. Nach einer verlegenen Pause meinte er: »Ich werde es mir überlegen.« Und mit einem wütenden Blick auf seine Schwester fügte er hinzu: »Frag erst mal deine Mutter wegen meiner Robe, sonst gehe ich überhaupt nicht hin!«
Alduin war erleichtert, dass der Falkenmeister seine Bitte nicht rundweg abgelehnt hatte. So schnell er konnte, lief er zum Gasthof und fragte seine Mutter. Sie versprach sofort ins Falkenhaus zu kommen und sich um die Änderung zu kümmern. Alduin überbrachte dem Meister erleichtert die gute Nachricht und trug seine Bitte noch einmal vor. Doch Calborth schüttelte den Kopf.
»Ich habe inzwischen im Rathaus angefragt«, sagte er. »Sie haben mir eine klare Absage erteilt. Ich kann leider nichts für dich tun, Alduin.«
Tief enttäuscht, bedankte sich Alduin und schlich davon. Trotzdem hatte er nicht die Absicht, die Hoffnung aufzugeben, ohne wenigstens noch einen weiteren Versuch zu unternehmen. Allerdings wusste er noch nicht, wie er das bewerkstelligen sollte. Wenn ihn seine Gefühle nicht trogen und es tatsächlich einen Grund für ihn gab, die Nebelsängerin kennen zu lernen, dann war er zuversichtlich, dass er auch einen Weg finden würde. Er suchte nach Bardelph, den er bitten wollte, ihn zu begleiten, während er mit Rihscha einen Flug unternahm. Der Raide stimmte bereitwillig zu und sie zogen gemeinsam los.
Als sie die Zitadelle verließen, hatte Alduin eine Idee. »Wir könnten Malnar fragen, ob er uns begleiten will. Eigentlich hat er Rihscha noch nie fliegen gesehen.«
»Gute Idee«, meinte Bardelph. »Wahrscheinlich macht er im Moment nichts anderes, als Madi Tarais Angelegenheiten zu regeln. Ein wenig Abwechslung wird ihm sicherlich gut tun.«
Kurze Zeit später klopften sie an die Tür des Hauses der Madi, das Malnar jetzt allein bewohnte. Als der Onur die Tür öffnete, erschrak Alduin. Malnar wirkte verwahrlost und in seinen Augen lag ein gehetzter Ausdruck. Offenbar hatte er in seinen Kleidern geschlafen, denn sie waren völlig zerknittert. Doch er freute sich, dass sie ihn einluden Rihschas Flug zu beobachten.
»Wie schön, dass ihr an mich gedacht habt. Ich bin so froh, dass sich Rihscha gut erholt hat. Und mir wird es auch gut tun, mal wieder aus dem Haus zu kommen«, gestand er. »Ich bin dabei, Madi Tarais persönlichen Besitz zu ordnen. Es fällt mir schwer, zu entscheiden, was mit all den Dingen geschehen soll. Außerdem ist dies und jenes zu regeln. Ja, ein wenig Abwechslung wird mir sicher nicht schaden. Und danach möchte ich dir ein paar Dinge zeigen, Alduin, vielleicht kannst du das eine oder andere davon gebrauchen.« Während er
Weitere Kostenlose Bücher