Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
erstaunlicher war sein völlig verändertes Verhalten. Verschwunden waren der hochmütige, ständig gereizte Ausdruck und der schneidende Tonfall. Lotan war kaum noch ein Schatten seiner selbst und Alduin fiel es plötzlich leicht, ihm zu glauben. Lotan hätte ein herausragender Schauspieler sein müssen, um so überzeugend zu wirken, und Alduin glaubte nicht, dass er über dieses Talent verfügte.
»Danke«, stieß er endlich hervor. »Tut mir Leid, dass Ihr krank wart.«
»Gut, dass Bardelph für mich einspringen kann. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis ich wieder unterrichten kann ... wenn überhaupt ...«, sagte Lotan niedergeschlagen und mit hängenden Schultern.
Alduin verspürte schmerzliche Schuldgefühle, obwohl er für Lotans Kummer kaum verantwortlich gemacht werden konnte: nämlich die Tatsache, dass Lotan nie von einem Falken erwählt worden war. Und auch dass er jetzt zumindest zeitweilig nicht mehr unterrichten konnte, dafür war Alduins nicht verantwortlich. Doch er zweifelte nicht mehr daran, dass sein Verdacht gegen Lotan unbegründet gewesen war, und wünschte, er hätte ihn seinen Freunden gegenüber nie geäußert.
»Das tut mir sehr Leid«, wiederholte er, eine Entschuldigung, die ihm vermutlich mehr bedeutete, als Lotan bewusst war. »Ihr seid ein guter Lehrer.«
Lotan nickte nur, wandte sich ab und schlurfte müde zur Tür.
Rael, der neben Alduin saß, stieß einen leisen Pfiff aus. »Oha. Damit können wir den wohl aus unserer Liste streichen und der letzte Zweifel wäre beseitigt«, sagte er nur. Mehr Worte waren auch gar nicht nötig.
»Stimmt«, gab Alduin zu. »Die Sache ist mir furchtbar peinlich. Ich wünschte, ich hätte den Mund gehalten. Ich weiß, dass diese Dinge gar nichts miteinander zu tun haben, aber ich fühle mich trotzdem schlecht dabei.«
»Lotan hat so viel Verbitterung in sich, dass er früher oder später ohnehin krank geworden wäre«, meinte Erilea. »Wer seinen Körper ständig mit schlechten Gedanken füttert, darf sich nicht wundern, wenn er irgendwann daran zu Grunde geht.«
Alduin warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. Was sie gesagt hatte, war wieder einmal sehr klug und enthielt weit mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Wie so vieles, was Erilea sagte. Wieder einmal bemerkte er erstaunt, dass sie ständig solche Weisheiten von sich gab; eine kleine Person, die aber alles tief durchdachte. Er lächelte sie liebevoll an.
»Das stimmt wohl. Jedenfalls fühle ich mich von ihm nicht mehr bedroht und kann sogar verstehen, wie schwer es für ihn ist, keinen Falken zum Gefährten zu haben. Darunter würde wohl jeder zu leiden haben, Bardelph hat es nur ein einziges Mal versucht und hatte schon genug.«
»Leider bringt uns das alles der Lösung des Rätsels keinen Schritt näher«, stellte Rael sachlich fest. »Hat Bardelph schon etwas darüber gesagt?«
»Nur dass es keinerlei Hinweise gibt. Sie sind überzeugt, dass die Blutbemalung am Pfeil irgendwie auf dunkle Magie hindeutet. Aber selbst damit scheint der Täter wenig Erfahrung gehabt zu haben. Alles ist offenbar ziemlich ungeschickt gemacht worden.«
In diesem Augenblick trat Twith in den Speisesaal und kam eilig zu ihrem Tisch gelaufen. »Stellt euch nur mal vor«, platzte er heraus, »ich habe die NEBELSÄNGERIN gesehen!«
»Wo?«, fragte Rael.
»Astar und ich wurden zum Rathaus gerufen. Ich musste ihn mit einer Meldung nach Lemrik schicken. Dort war sie mit Melethiell zusammen ...«
»Wer?«, unterbrach ihn Alduin. »Nun sag schon: Wer oder was ist denn eine Nebelsängerin?«
Seine Freunde starrten ihn überrascht an.
»Sag mal, wo warst du eigentlich die ganze Zeit? Hast du nicht gehört, dass die Nebelsängerin gekommen ist?«, fragte Rael.
»Ich habe im Moment genug eigene Sorgen, oder etwa nicht?«, gab Alduin verärgert zurück. »Vielleicht kann mir mal jemand erklären, was eine Nebelsängerin ist und was die ganze Aufregung soll.«
Erilea gab den anderen mit einem strengen Blick zu verstehen, dass sie den Mund halten und die Erklärung ihr überlassen sollten. »Du hast doch bestimmt gehört, dass Gaelithil einen magischen Nebelvorhang am Arnad wob, um Nymath gegen seine Feinde zu schützen, nicht wahr?«
»Ja, gegen die Uzoma. Das weiß ich von meiner Mutter«, antwortete Alduin.
»Als Gaelithil diese Aufgabe erfüllt hatte, floh sie in eine andere Welt. Nur so glaubte sie das Geheimnis bewahren zu können. Dort gebar sie ein Mädchen, dem sie das Geheimnis weitergab. Lange
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