Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
hier zusammengetragen, um es durchzusehen und auszusortieren.«
Der Onur wühlte in einem Haufen farbenfroher Kleider und zog schließlich ein dunkles, knielanges Obergewand und eine dazu passende einfach geschnittene Hose heraus. Beides war aus bester Wolle und so fein gewoben, dass blaue, goldene und grüne Farbenschimmer aufleuchteten, wenn das Licht darauf fiel. Der Halsabschluss und die langen Ärmel waren mit einfachen Goldbordüren abgesetzt.
»Das sind genau die Farben von Rihschas Gefieder!«, rief Alduin überrascht. »Gehörten die Kleider wirklich Madi?«
»Sie war keine große Frau und ihr Gewicht nahm erst in den letzten Jahren zu, als sie nicht mehr so gut gehen konnte«, erklärte Malnar. »Gefallen sie dir?«
»Natürlich! Ich würde sie sehr gern heute Abend tragen. Sie passen mir bestimmt, und daran kann wohl niemand etwas aussetzen.«
»Vielleicht finden wir noch irgendwo eine Anstecknadel, die wir an der Schulter befestigen können.« Malnar wühlte in einem Haufen Perlenketten, Broschen und Gürteln, bis er fündig wurde.
»Schau mal hier, dieser Gürtel. Was meinst du dazu?«
Der Gürtel war aus dunkelblau gefärbtem Leder und die Gürtelschnalle verziert mit demselben Zeichen, das auch über der Haustür hing. Die drei Runen waren klar und deutlich in Gold auf einer blauen Scheibe zu erkennen, umgeben von einem fein eingelegten Muster winziger Federn, Knochen und Kristalle.
»Er ist zu schön«, stieß Alduin atemlos hervor.
»Probier doch alles einmal an«, schlug Malnar vor.
Alduin legte die neuen Kleider an. Sie passten, als seien sie eigens für ihn geschneidert worden. An der Wand lehnte ein hoher Spiegel aus poliertem Metall. Alduin legte den Gürtel um die Hüfte und betrachtete sein Spiegelbild. Was er sah, gefiel ihm sehr.
Die Portale zum Saal des Hohen Rats schwangen weit auf. Aus allen Enden der Stadt strömten die geladenen Gäste herbei, prächtig und edel - und in manchen Fällen übertrieben farbenfroh - gekleidet. Am Eingang wurden die Einladungen von den Türwächtern überprüft. Neben der prachtvollen Kleidung der übrigen Gäste wirkte Alduins Aufmachung sehr einfach, doch er selbst fühlte sich würdig gekleidet. So betrat er neben Malnar voller Stolz die Halle. Auch der Onur-Seher sah sehr elegant aus. Sein langes braunes Alltagsgewand hatte er gegen eine weinrote Robe eingetauscht. Auf dem Kopf trug er eine dazu passende, runde Mütze und er hatte ein schmales Band in den Bart geflochten.
Der Hohe Rat hatte sich neben den beiden Elben, Melethiell und Fürst Merdith, zur Begrüßung der Gäste aufgestellt. Ein Herold rief die Namen der Gäste auf, die der Nebelsängerin vorgestellt wurden.
»Der Ehrwürdige Mado Malnar, Seher der Onur, und sein Schüler Alduin, Falkner des Falken Rihscha und Schüler der Falknerei.«
Die Ausrufung seines Namens stürzte Alduin in Verlegenheit, aber er fing sich schnell wieder, legte die Hand grüßend auf die Brust und verneigte sich. Nach dem Tod von Madi Tarai war der Titel des Mado automatisch auf Malnar übergegangen, aber auch er schien verlegen, so vorgestellt zu werden, als fühle er sich nicht würdig genug.
Melethiell antwortete mit einer sanften Stimme, die Alduin an das leise Rascheln von Herbstlaub im Wind erinnerte.
»Wir grüßen Euch, Mado Malnar und Alduin«, sagte sie und erwiderte anmutig den Gruß. »Wir dürfen Euch Kirstie vorstellen, die der Linie Gaelithils und ihrer Tochter Cara entstammt. Kirstie führt das Erbe der Nebelsängerinnen fort und ist nach Nymath zurückgekehrt, um ihre Aufgabe auszuführen.«
Malnar und Alduin verneigten sich erneut, doch dieses Mal direkt vor der Nebelsängerin. Alduin erinnerte sich an ihre Haarfarbe; doch jetzt bemerkte er, dass ihr Haar keineswegs die Farbe von Karotten hatte, sondern eher eine Mischung aus Gold und Bronze. Wie Alduins dunkles Haar fiel es in dichten Locken um ihr Gesicht herab und war im Nacken zu einem langen, dicken Zopf geflochten.
»Es ist mir eine Ehre, Euch kennen zu lernen«, sagte das junge Mädchen lächelnd. Ihre Aussprache war ungewöhnlich, aber in Alduins Ohren klang ihre Stimme melodiös. Sie neigte ihren Kopf achtungsvoll vor Malnar und sah dann Alduin offen in die Augen.
»Meine Mutter hat mir viel über die Falkner von Nymath erzählt«, sagte sie. »Ich würde gern mehr darüber erfahren. Ich hoffe sehr, dass sich dazu Gelegenheit bietet, bevor ich die Stadt wieder verlasse.«
»Ich ... ich würde mich freuen«,
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