Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
wahrscheinlich zu Fuß hingehen müssen!«
Er zauste an Alduins Haar und grinste ihn an. »Kommt, wir gehen nach Hause! Die Sonne geht schon unter.«
»Richtig - ich muss mich ja noch für den Empfang im Rathaussaal fein machen«, warf Malnar ein.
Das war die Gelegenheit, von der Alduin wusste, dass sie sich ihm früher oder später bieten musste. Er war überzeugt, dass ihm der Onur diese Bitte nicht abschlagen würde.
»Malnar, könnte ich nicht mit Euch zum Empfang gehen?«
»Wieso? Warum willst du zu dem Empfang?«, fragte Bardelph, bevor Malnar etwas sagen konnte.
Alduin zuckte die Schultern, sah aber keinen Grund, nicht die Wahrheit zu sagen. »Ich muss mit der Nebelsängerin sprechen. Ich weiß nicht, warum; ich weiß nur, dass es sein muss.«
Die beiden Männer starrten ihn überrascht an. Doch während Malnars Blick immer nachdenklicher und auch ein wenig neugieriger wurde, war es wiederum Bardelph, der das Wort ergriff.
»Du bist Falknerschüler. Du wirst also zuerst einmal Meister Calborth darum bitten müssen.«
»Das habe ich bereits, aber ich darf ihn nicht begleiten«, gestand Alduin widerwillig. »Na, siehst du. Dann wäre das wohl erledigt.« »Aber er hatte gar nichts dagegen! Man hat ihm lediglich mitgeteilt, dass die Einladung nur ihm allein gilt.«
»Was ist der Unterschied? Dasselbe gilt doch auch für Malnar! Warum fragst du ihn dann?«
Jetzt mischte sich der Onur ein. »Möglich wäre es schon«, sagte er. »Die Einladung kam an dem Morgen, an dem Madi verstarb ... Sie gilt für zwei Personen. In gewisser Weise ist Alduin ja auch so etwas wie mein Schüler.«
Aber Alduin war inzwischen eingefallen, dass er nichts Passendes anzuziehen hatte. »Es gibt da nur ein Problem«, sagte er bedrückt. »Ich habe nicht die richtigen Kleider ...«
»Na, dann wird es eben nicht gehen«, meinte Bardelph erleichtert, der sich bei dieser Angelegenheit ohnehin recht unwohl fühlte und nach Gründen suchte, Alduin davon abzubringen.
»Auch dabei kann uns Madi Tarai helfen«, warf Malnar ein. »Wir haben noch ein Obergewand aus der Zeit, als sie noch viel jünger war. Die Tunika ist für einen solchen Empfang angemessen und ich denke, sie wird Alduin passen.« Alduin grinste den Raiden breit an; er war sicher, dass seiner Teilnahme am Empfang nun nichts mehr im Wege stand. Vor Begeisterung lief er den Männern mit großen Schritten voraus. An der Abzweigung zu Madi Tarais Haus entschloss sich Bardelph, direkt zum Falkenhaus zurückzugehen.
»Ich werde Meister Calborth erklären, was ihr vorhabt. Du kannst dich darauf verlassen, Alduin, dass ich in kürzester Zeit zurück sein werde, falls er nicht einverstanden ist. Und was hast du mit Rihscha vor? Soll ich ihn zurückbringen?«
»Wenn es dir keine Umstände macht?«, antwortete Alduin.
»Natürlich nicht.« Der Raide rollte den Ärmel hinunter und ließ den Falken darauf steigen, während Alduin den Schutzhandschuh abzog und ihn mit einiger Mühe über Bardelphs große Faust schob. Dann redete der junge Falkner sanft auf Rihscha ein, dass er Bardelph vertrauen könne, bis dieser endlich auf den Handschuh hüpfte.
Alduin sah, dass Madi Tarais Zeichen noch am Haus hing. Malnar erklärte ihm, dass er es hängen lassen wolle.
»Madi hat mir alles beigebracht, was ich weiß. Das Zeichen ist eine Botschaft und sie hat noch immer ihre Bedeutung. Vielleicht werde ich später mal ein eigenes Zeichen hinzufügen. Aber vorerst wird es so bleiben.«
Alduin nickte nur und sie traten ein. Seit Madis Tod waren erst ein paar Tage vergangen, aber Alduin stellte überrascht fest, dass sich der Onur offenbar nicht mehr wie früher um das Haus gekümmert hatte. Ein Kerzenhalter hing schief an der Wand, sodass das Wachs heruntergetropft war; eine Pflanze welkte vor sich hin; die Binsenmatten auf dem Boden waren Tummelplatz für Ameisen. Alduin spürte nun umso mehr, wie unterschiedlich Madi und der Onur waren. Madi Tarai strahlte Friede, Leichtigkeit, Weisheit und Lebensfreude aus und in Malnar steckte der Forschergeist, ständig auf der Suche nach mehr und vollständigem Wissen, mit einem Hang dazu, über sein Ziel hinauszuschießen.
Als sie Madis Zimmer betraten, erlebte Alduin eine weitere Überraschung: Auf Sitzbank, Tisch, Stühlen und Kommoden waren Kleider, Artefakte und Geschirr aufgetürmt.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Malnar schnell, als er Alduins entsetzten Blick sah. »Erstaunlich, was sie so angesammelt hat. Ich habe alles aus dem Haus
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