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Falkensaga 02 - Im Auge des Falken

Falkensaga 02 - Im Auge des Falken

Titel: Falkensaga 02 - Im Auge des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
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da, doch sie berührte ihn nicht mehr so unmittelbar wie noch wenige Augenblicke zuvor. Es war fast so, als ob er sich selbst mit Abstand beobachtete. Und so würde diese Entscheidung so selbstverständlich sein wie die Luft, die er einatmete.
    Ohne noch einmal den Blick Gilians zum Abschied zu suchen, ging er die Verbindung mit Rihscha ein.
     
    Alduin flog mit seinem Falken und spürte, wie ihn die unbändige Liebe zu ihm durchströmte. Er fühlte gleichzeitig die große Zuneigung und Dankbarkeit, die ihm Rihscha entgegenbrachte. Doch obwohl ihre Wesen im Falkenflug zusammenfanden, blieben sie doch das, was sie auch vorher gewesen waren: zwei Geschöpfe, die in ihrer Eigenständigkeit zueinandergefunden hatten.
    So gelangten sie in die verschiedenen Welten, die Alduin bereits kennengelernt hatte, bis sie zusammen eintauchten in das Reich der Elben und der Götter. Kein Wort wurde gesprochen, dennoch erzählte der Klang Tausender Stimmen die Geschichte der Schöpfung auf wundersame Art und Weise. Keine Note war zu viel und jede von ihnen rein und wahr. Alduin lauschte gebannt den Melodien, schwelgte in ihren Klängen und Wendungen.
    Doch inmitten all dieser Schönheit vernahm er plötzlich einen dissonanten Klang, als sei ein Ton falsch angeschlagen worden. Es blieb nicht bei diesem einen, andere kamen hinzu, wurden lauter und drängender, bis ein gegenbewegender Missklang seine Ohren erfüllte.
    Es war die pure Neugier, die ihn trieb, den Tönen nachzugehen. Und binnen eines Lidschlags stürzten er und Rihscha hilflos in eine Vision der Verzweiflung und des Schreckens. Albträume entfalteten sich vor seinen Augen, entsetzliche Bilder der Verwüstung und Zerstörung. Abscheuliche Ungeheuer streckten ihre Fangarme nach ihm aus, sie gruben sich in sein Fleisch, in seinen Verstand, in sein Herz. Er war gelähmt vor Angst. Niemand sprach die Namen der abschreckenden Wesen aus, dennoch waren sie augenscheinlich: Es waren die Habgier, der Neid, die Bosheit, die Eitelkeit, die Grausamkeit und der Hass. Die Qualen, die sie verhießen, kannten keine Grenzen. Alduin wusste, dass selbst der Tod ihn nicht davon zu erlösen vermochte. Doch gerade als er spürte, wie die Pein und das Elend ihn zu überwältigen drohten, vernahm er einen neuen Laut, der durch all die Verzweiflung und den Schmerz zu ihm drang.
    Alduin klammerte sich an diesen Klang wie an ein Rettungsseil, das einem Ertrinkenden zugeworfen wird. Plötzlich umhüllte ihn seine einzigartige Schönheit wie ein schützender Kokon. Vergessen war das Meer des Leidens, er wurde zurückgezogen in die himmlische Sinfonie. Da verstand er, dass die Töne, auch wenn sie für sich erklingend vollkommen waren, sich gleichermaßen zu einer Harmonie oder zu einer Disharmonie zusammenfügen konnten - einem Missklang, der sich in Elend und Trauer niederschlug.
    Rihscha flog weiter. Sein Gefieder erstrahlte in einem glühend weißen Schimmer, der stärker wurde, als sie Sphären durchflogen, die voller unbeschreiblicher Wunder waren.
    Plötzlich stürzte der Falke einen goldenen Faden entlang, der auf eine ferne Kugel zuraste. Diese funkelnde und pulsierende Kugel schien ein Eigenleben zu haben. In ihr liefen zahlreiche Goldfäden zusammen, ein jeder von ihnen zog ein schimmerndes Wesen mit sich. Je näher Alduin und Rihscha ihr kamen, desto mehr verringerte sich ihre Geschwindigkeit, bis sie vor der Kugel schwebten. Sie strahlte eine vibrierende Energie ab, und hätte Alduin ihr einen Namen geben müssen, so hätte er sie wohl schlicht »Leben« genannt. Er wurde eingeladen einzutreten, und gleichzeitig abgewiesen. Noch einmal wurde ihm bewusst, dass er selbst entscheiden konnte. Doch inzwischen war er so weit gekommen und hatte so vieles aufgegeben, dass er nicht länger zögerte.
    Als ob schon der Gedanke allein ausreichte, war er schlagartig im Inneren der Kugel. In ihr war alles und doch nichts, Licht und Dunkelheit, Stille und Lärm, Freude und Gram, Schönheit und Hässlichkeit, Liebe und Furcht. Jede Gegensätzlichkeit, die es gab, war enthalten, ebenso alle Zwischentöne.
    Alduin kam der Gedanke, dass es Rihschas Falkennatur war, die ihn davor bewahrte, inmitten all der Widersprüchlichkeiten den Verstand zu verlieren. Es schien ihm, als säße er in einer schützenden Hülle, von der aus er gefahrlos das Wunder beobachten konnte, das ihn umgab - ein Wunder, das ihm tausend Geheimnisse offenbarte und jede Frage beantwortete, die er stellte.
    Keine seiner Fragen war

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