Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
abgeschnitten bleiben?
»Hör auf mit diesem lächerlichen Unfug«, schalt sie sich. »Fang an, schwimmen zu lernen, bau ein Floß, oder tu sonst etwas, aber zergehe nicht in Selbstmitleid!«
Sie bahnte sich durch das Unterholz einen Weg zur Mitte der Insel und suchte nach allem, was sich als nützlich erweisen konnte. Es war nicht schwer, umgestürzte Baumstämme zu finden, doch die meisten waren so morsch, dass sie schon zerfielen, als Erilea sie anhob. Schließlich jedoch hatte sie Glück. Unweit des Strandes entdeckte sie einen großen Baumstamm. Er war zwar in seinem Inneren ausgehöhlt, doch die äußere Hülle wirkte noch recht solide. Erilea würde nur die offenen Enden füllen müssen, damit der Stamm schwimmen konnte. Eine Weile überlegte sie, wie sie den Baum am besten abdichten könnte. Da fielen ihr die Kaninchenhäute ein. Nach ihrer ersten Jagd hatten sie die Häute zum Trocknen ausgestreckt. Wenn es ihr gelänge, damit die Enden des Baumstammes wie eine Trommel zu überziehen, sollte das genügen. Freudig und zuversichtlich holte sie die Häute und begann, kräftige Grashalme zu einer Schnur zu flechten.
Sivellas Ankunft mitten am Nachmittag riss Erilea unverhofft aus ihrer Arbeit. Sie legte ihre geflochtene Grasschnur beiseite und sprang auf, um den Falken zu begrüßen.
»Oh Sivella, du bist zurück! Heißt das etwa, dass Rael in der Nähe ist?«
Sivella kreiste über Erilea und sauste dann in Richtung des Steilhangs davon. Vermutlich war Rael gerade auf dem Weg nach oben. Erilea rechnete sich aus, dass er noch eine Weile brauchen würde, bis er bei ihr ankam, und brachte in der Zwischenzeit ihre Aufgabe zu Ende. Sie band die Kaninchenhäute fest über die Enden des Baumstamms und rollte ihn ins Wasser. Erleichtert stellte sie fest, dass er tatsächlich gut schwamm. Ein Floß war es sicher nicht, doch würde die Konstruktion für ihre Zwecke allemal ausreichen. Sie schlang die Arme um den Stamm, legte sich mit der Brust darauf und stellte erfreut fest, dass sie ihre Beine mühelos als Paddel benutzen konnte.
Erilea hätte zu gerne die Freude über ihren Erfolg mit jemandem geteilt, aber so blieb ihr nur, an den Strand zurückzukehren und den Treibstamm zu sichern. Sie suchte Zweige zusammen und zündete ein Feuer an, auf das sie trockenes Gras nachlegte, bis die Hitze sich in leuchtende Glut verwandelte.
»Erilea!«
Der leise Ruf drang kaum an ihr Ohr. Sie sah auf und erblickte Rael, der ihr vom anderen Ufer mit überschwänglichen Gesten zuwinkte. Erilea sprang auf und rannte zum Rand des Wassers. Auch sie fuchtelte nun mit den Armen wild umher.
»Rael! Was bin ich froh, dich zu sehen! Alduin ist verschwunden! Ich weiß nicht, was wir tun können!«
Rael legte die Hand hinter sein Ohr. Offensichtlich war ihre Stimme zu leise, um sie über das Wasser zu hören. »Ich verstehe dich nicht«, brüllte er zurück. »Wie komme ich am besten zu dir?«
Erilea deutete auf den rückwärtigen Teil des Sees.
»Dort hinten geht es«, schrie sie, so laut sie konnte.
Diesmal schien Rael die Botschaft verstanden zu haben, und lief sofort los. Hastig machte sie sich daran, das Essen vorzubereiten. Sie wickelte das Gemüse in einige große Dökblätter und legte es zum Garen in die heiße Glut. Dann schlich sie lautlos zwischen den Bäumen hindurch zu einer Lichtung, auf der süßes Gras wuchs. Das würde bestimmt das eine oder andere Kaninchen anlocken.
Tatsächlich mümmelten dort einige Tiere vor sich hin, ohne Gefahr zu wittern. Doch genau in diesem Moment stieß Sivella herab und ließ sich geräuschvoll auf einem Ast nieder. Die Kaninchen stoben in alle Richtungen davon.
»Sivella! Das war unser Abendessen!«, rief Erilea empört aus. »Was soll ich denn jetzt machen?«
Der Falke legte den Kopf schief, als würde er tatsächlich über eine Antwort nachdenken, stieg dann in eleganten Spiralen über der Lichtung auf und verharrte schwebend. Von der Anmut des Falken in Bann gezogen, stand Erilea regungslos im Schutz der Bäume. Sie hatte verstanden.
Es dauerte nicht lange, bis die ersten Kaninchen wieder über das Gras hoppelten und sich über die süßesten Halme und Kleeblätter hermachten. Gleich darauf stieß Sivella herab, packte eines der Tiere mit einer Geschwindigkeit, die selbst der schnellste Pfeil nicht übertreffen konnte, und legte es vor der jungen Wunand ab. Erilea sprang auf, klatschte in die Hände und hob das Kaninchen rasch auf.
»Danke! Ein Prachtstück. Das wird ein
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